Test: Royal Enfield 650 Interceptor

Es ist ein Motorrad. Punkt.

image Fotos: Motorradtest.de

Da steht die Royal Enfield vor einem und man entspannt schon beim Anblick. So also sah das Motorradfahren früher aus? Man möchte irgendwie gegen den Reifen treten und etwas Tiefsinniges von sich geben wie: „Früher war alles besser“ oder so. Das stimmt natürlich nicht, denn die 650 Interceptor ist zwar basic, aber modern. Was sie bei uns in der Praxis beweisen musste.

Die ist einfach so

Eine der schwersten Aufgaben im Motorraddesign muss es sein, Retro-Mobile zu entwerfen. Wo ist die Grenze zwischen gelungener Neuinterpretation im Old-School-Style und irgendwie schiefgegangen (siehe aktuelle Suzuki Katana)? Man kann sehr leicht aus dem Sattel kippen bei so etwas.

Anders hingegen ist es bei Royal Enfield. Manch einer wird das altertümliche Aussehen nicht als retro bezeichnen, sondern die Schuld der Produktion in Indien anlasten wollen, die könnten es eben nicht besser. Ähnliche Schmähungen musste auch die BMW G 310 R erfahren. Das ist im besten Falle Blödsinn, um es mal ganz deutlich zu sagen.

Virtueller Rundgang um die Royal Enfield Interceptor 650
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Maximal reduziert

Die Royal Enfield 650 Interceptor ist im Kern ihres neu entwickelten Twins ein modernes Motorrad, welches aber reduziert ist. Reduced to the max, warb Smart mal auf Neudeutsch. Nicht sie muss sich verteidigen, bald bist du in der Defensive: Muss es wirklich mehr sein? Warum nur gelten 100 PS als notwendige Untergrenze? Und muss ein Motorrad wirklich mehr Funktionen haben als ein durchschnittliches Smartphone?

Die Interceptor sieht wahrscheinlich so aus, weil niemand mehr braucht. Ein Tank, eine gerade Sitzbank, ein Twin mit 48 PS. Klasse, reicht. Auch die beiden Farben des Tanks, unterbrochen von einer goldenen Linie – das sieht fein und edel aus. Stereo-Federbeine in Chrom mit Speichenfelgen bitte, doppelte Chromtüten und ein polierter Motordeckel. Das All-Inclusive-Menü kostet 6.519 Euro. Nun gut, um zu demonstrieren was so geht, hat der sympathische Enfield-Händler unserem Testbike die Sitzbank der Continental, diverse Zierdeckel, andere Spiegel und Blinker mitgegeben. Repräsentiert einen Wert von rund 1.300 Euro, brauchen tut‘s niemand.

Das Bike ist nicht sonderlich groß. Eher so mittel, man kann sich problemlos draufschwingen. Und siehe da: Die beiden chromumrahmten Rundinstrumente für Tacho und Drehzahl werden durch einen winzigen Bordcomputer ergänzt, der verschämt über Temperaturen und Füllstand des Tanks informiert. War da noch was? Ach ja, ein ABS hat die 650 Enfield.

Dann mal los, den Frühling suchen.

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Rasen? Aber warum denn?

Schlüssel rumgedreht (danke, Royal Enfield, ihr werden die allerletzte Firma der Welt sein, die das diebstahlsgefährdete und ansonsten völlig nutzlose Keyless-Go einführt), Knopf gedrückt und zufrieden bollernd springt der Twin an. Interceptor heißt sie, das heißt übersetzt Abfangjäger. Vor wessen Augen jetzt die legendäre Spitfire der Briten aus dem Zweiten Weltkrieg auftaucht, sollte sich nochmal ruhig in die Ecke setzen: 47 PS. Bei 7.100 Touren. Drehmoment gibt‘s auch, 52 Newtonmeter bei 5.250 Touren. Abfangen wollen wir heute mal gar nichts, und auch die nächsten Jahre sieht das eher nicht danach aus. Deshalb: cool bleiben.

Aber fahren wollen wir, und das tun wir. Es geht entschlossen voran und nichts lenkt ab. Rasen tut man nicht nur deshalb nicht, weil die Kraft dazu nicht reicht, sondern weil es völlig überflüssig wäre. Die dünnen Reifen, das komfortable, aber stabile Fahrwerk – nichts davon schreit dir ins Ohr, dass du jetzt irgendwie die Sau rauslassen solltest. Euer größtes Glück ist es, in jeder Kurve mit der Fußraste eine Schramme in den Asphalt zu fräsen? Falsches Bike.

Man würde sie nicht als Café Racer bezeichnen, aber eigentlich ist sie das: Mit ihr ist man niemals, in keiner Situation, falsch angezogen. Es ist, als ob die Royal Enfield Welpenschutz genießt: Jeder, der sie erkennt, lässt dich in Ruhe ziehen. Musst du auf einer Ducati immer auf den nächsten Herausforderer lauern, wartet auf die Royal Enfield kein Rivale.

Kurz mal zusammengefasst: Komfort gut, Sportlichkeit eher nicht, Fahrverhalten stabil, Triebwerk treibt einen voran. Stilsicher und ehrlich bis zur letzten Schraube. Was vergessen? Möglich, aber etwas Aufregendes war bestimmt nicht dabei.

Ein Motorrad. Ganz einfach

Die Royal Enfield 650 Interceptor macht es einem leicht sie zu mögen. Sie ist weder Superbike, noch Adventure oder Naked – sie ist einfach ein Motorrad wie früher, als es diese ganzen Bezeichnungen noch nicht gab. Es gibt bei ihr trotzdem alles, was man zum Motorradfahren braucht.

Es ist schwierig, eine Konkurrenz zu bestimmen. Die meisten Retrobikes sind einfach zu teuer im Vergleich. Orientiert man sich am Preis von 6.519 Euro, landet man schnell bei den Bestsellern Kawasaki Z 650 oder Yamaha MT-07. Aber ob die sich wirklich Kunden wegnehmen? Es ist wahrscheinlich wie immer: Einfach mal ausprobieren, wenn es passt, dann passt es. Sonst eben nicht. Auch kein Drama.

Das Testbike wurde uns vom 2 Radhaus Stadie in Pinneberg zur Verfügung gestellt.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Preis: 6.519€
  • Gebraucht (3 Jahre alt): 4.200€
  • Baujahre: seit 2018
  • Verfügbarkeit: gut
  • Farben: orange, silber, rot, schwarz, weiß, chrom
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