Fotos: Motorradtest.de
Es kommt Wind in die Klasse der wirklich geländegängigen Reise-Enduros. Mit der Tuareg 660 hat Aprilia potenzielle Käufer der Yamaha Ténéré im Blick. Ob sich ein Blick auf die Tuareg lohnt, haben Meike und Dietmar bei eine Probefahrt gecheckt.
Eine echte Enduro
Wer sich früher für eine geländegängige Maschine interessiert hat, hatte stets eine riesige Auswahl. Yamaha XT 500, Honda XL 500, Suzuki DR-Z 400 & Co. standen an jeder Ecke. Doch irgendwie ist es ruhig geworden um diese Art Motorrad. Die heutigen Adventure-Schiffe GS & Co. mögen zwar auf langen Reisen und auf der Autobahn eine gute Figur machen, für das Gelände sind sie aber schlichtweg zu schwer.
Ja, es gibt nach wie vor echte Enduros, z.B. von KTM oder Honda, diese eignen sich aber weniger für die lange bzw. komfortable Reise. Jaja, wir kennen natürlich auch Itchy Boots, die mit solchen Bikes seeeeehr lange Reisen macht, aber so richtig konfi sieht das irgendwie nicht aus. Einzig Yamaha hat das erkannt und mit der Ténéré wieder ein Bike für den groben Untergrund und die lange Reise im Programm. Bis jetzt: Aprilia stellt mit der Tuareg 660 einen direkten Konkurrenten zur Yamaha vor. Diese gibt es in drei Farben und sie kostet ab 11.999 Euro.
Es gab übrigens früher schon zweimal eine Aprilia Tuareg: Die
Tuareg 600 Wind wurde von 1988 bis 1991 gebaut und die
Tuareg 350 von 1986 - 1989. Mit der neuen Maschine haben diese alten Eisen allerdings nichts mehr gemeinsam. Die Tuareg 660 Baujahr 2022 ist technisch sehr gut ausgestattet, doch dazu später mehr.
Erst einmal setzen wir uns auf das Bike und schauen, wie sich das anfühlt. Die Sitzhöhe von 860 mm ist für eine Enduro angemessen, wg. der schmalen Sitzbank kommt man dennoch gut auf den Boden. Kleiner als 1,75 m sollte man allerdings nicht sein für einen sicheren Stand.
Lange Federwege von 240 mm und ein amtlicher Ölwannenschutz aus Metall signalisieren: Achtung, Warmduscher, ich will nicht nur zum Eiscafé gondeln. Dazu passt die kleine Rally-Scheibe, die einen - na sagen wir mal 1B-Windschutz ermöglicht. Optisch ist die Tuareg 660 sofort als Aprilia zu erkennen, vor allem von vorne. Obwohl die Lampenmaske mit dem Schild nichts mit den Schwestermodellen RS 660 und Tuono 660 zu tun hat, so erkennt man die 660er Familie doch auf den ersten Blick. Sehr schön.
Mann/Frau sitzt entspannt auf der Tuareg 660, eine Mindestgröße von 1,75 m vorausgesetzt.
360 Grad Rundgang um die Aprilia Tuareg 660
Technik der Aprilia Tuareg 660
Die Tuareg ist im Vergleich zur Ténéré sehr gut ausgestattet. Es gibt Ride by Wire, individualisierbare Fahrmodi inkl. Offroad-Modus, ein 5" Farb-TFT Display, eine vierstufige Traktionskontrolle, abschaltbares ABS, einen Tempomaten und sogar eine dreistufige Motorschleppregelung - und das alles in Serie! Nicht dabei ist ein Schräglagensensorik, der QuickShifter und die Handykopplung nur gegen Aufpreis.
Auch die Lichtausstattung kann sich sehen lassen: Voll-LED inkl. der Blinker und Umschaltung zwischen LED-Tagfahrlicht und Abblendlicht per separaten Taster sind dabei. Vergessen hat Aprilia eine Warnblinkanlage und die automatische Blinkerrückstellung.
Die Bedienung all dieser Funktionen ist kinderleicht. Es gibt vier Steuertasten für die Menüführung und die Gliederung der Funktionen versteht man auf Anhieb. Für italienische Verhältnisse ist auch die Darstellung im Display geradezu nüchtern.
So fährt sie sich
Die Tuareg lässt sich kinderleicht durch Verkehr und Gelände dirigieren. Durch das geringe Gewicht und den sehr breiten Lenker hat man das Bike jederzeit unter Kontrolle. Fährt man im Stehen, so kommen einem die dazu perfekt positionierten Fußrasten und der hohe Lenker entgegen. Man kann so problemlos lange Zeit im Stehen fahren, ohne dass es sich irgendwie falsch anfühlen würde oder gar anstrengend. Interessanterweise merkt man der Tuareg ihren doch recht langen Radstand von 1,55 m nicht an. Die Maschine ist superwendig und vor allem der starke Lenkeinschlag ermöglicht enge Kurven und ergibt einen Mini-Wendekreis.
Der Sound der Aprilia Tuareg 660 ist okay und mit den anderen beiden 660er von Aprilia vergleichbar. Man hört beim Hochdrehen zwar, dass man hier nur 659 Kubik unter dem Hintern hat, im unteren Drehzahlen ist der Motor bzw. der Auspuff dafür aber schön bassig. Soundcheck rechts oben. Hatten wir eigentlich schon erwähnt, dass das Bike Drahtspeichenräder hat? Hat sie selbstverständlich.
Als Reifen kommen die beliebten Pirelli Scorpion Rally STR zum Einsatz. Bei einer Enduro aus Italien, die auch auf der Straße fahren soll, ist diese Wahl fast zwangsläufig. Das Fahrwerk kommt von Kayaba und sowohl an der Gabel als auch am Zentralfederbein komplett einstellbar. Die schöne Alu-Zweiarmschwinge ist recht lang. Im Zusammenspiel mit dem 21 Zoll Vorderrad führt das in Summe zu einem sehr stabilen Fahrverhalten. Die Ténéré hat ein eben solches 21 Zoll Vorderrad und ein sogar noch längeren Radstand von 1.59 m, fährt sich aber sehr ähnlich.
Der Vergleich zur Yamaha drängt sich auch bei der Leistung auf, denn beide Maschinen sind eher moderat motorisiert. 73 PS zu 80 PS stehen hier zu Buche, wobei beide Bikes sowohl Höchstleistung als auch Drehmoment bei ähnlichen Drehzahlen abgeben. Und in der Tat fühlt sich das auch ähnlich an, wobei die Tuareg etwas kräftiger nach vorne geht. Beide Maschinen sind hingegen keine Leistungsmonster, wobei das bei Enduros ja auch nicht notwendig ist. Die Bremsanlage der Aprilia kommt von Brembo und die 300 mm Doppelscheibe vorne samt 4-Kolbenfestsattel macht einen guten Job.
Beim Verbrauch gibt es eine kleine Überraschung. Nur 4 Liter auf 100 km/h soll die Tuareg schlucken, was wir allerdings nicht kontrolliert haben. Im Zusammenspiel mit dem 18 Liter Tank würde das eine Reichweite von 450 km ergeben, nicht übel. Dank der Zuladung von 210 kg wäre theoretisch auch zu zweit eine ausgiebige Tour möglich, wobei die Aprilia nicht den Sozius-Sitzkomfort einer "echten" Reiseenduro a lá GS & Co. erreicht. Im Gelände zu zweit ist ja eh nicht gerade eine gute Idee, insofern hatte Aprilia bei der Tuareg sicherlich nicht einen ausgesprochen guten Soziusbetrieb im Lastenheft stehen.
Fazit - was bleibt hängen
Die Aprilia Tuareg 660 ist eine gute Reise-Enduro mit starker Tendenz zu "Enduro". Das merkt man schon rein optisch am Motorschutz, dem 21 Zoll Vorderrad und den langen Federwegen. Dennoch fühlt sich das Bike auch auf der Straße gut an und ist dort nicht fehl am Platze. Kritikpunkte sind das nicht verstellbare Windschild, die etwas lieblosen Aufkleber (nicht überlackiert) und der etwas sparsame Platz für den Beifahrer. Davon abgesehen macht die Tuareg aber einen guten Job.
Der Preis von knapp 12.000 Euro geht im Vergleich zur Yamaha (ca. 11.000 Euro) in Ordnung, da die Aprilia technisch besser ausgestattet ist. Der Werbespruch "
DAS BESTE AUS ZWEI WELTEN - Maximale Performance und hoher Fahrkomfort" ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber es stimmt schon: Die Tuareg macht sowohl im Gelände als auch auf der Straße eine gute Figur.
Das Testbike wurde uns von
ZTS (Zweiradtechnik Schielman) für diesen Test zur Verfügung gestellt. ZTS ist in Bokel beheimatet, dort findet man schöne Landstraßen und auch ein wenig Gelände für eine ausgiebige Probefahrt. Kaffee gibt es dort auch, ein Ausflug zu
ZTS lohnt sich also. Schönen Gruß an Hajo!
Preis/Verfügbarkeit/Farben/Baujahre
- Preis: ab 11.999 €
- Verfügbarkeit: ab 05/2022
- Farben: rot, gelb, blau-weiß