Test: Honda VFR 800

Unser Schmuckstück in Action

image Fotos: Motorradtest.de

In acht Aufbau-Videos plus einem Bike-Porn-Streifen unseres Videokanals war die günstig geschossene Honda VFR aus dem Baujahr 2002 die Hauptdarstellerin. Was haben wir uns Mühe gegeben, sie technisch und optisch auf Vordermann zu bringen! Jetzt gilt es: Kann das 18 Jahre alte Bike im Test überzeugen?

Sporttourer sind aus der Mode

Da müssen wir uns mal selber loben: Sie ist wunderschön. Neu lackiert in diesem nicht zu knalligen Metallic-Rot und dazu die goldenen Felgen, die steht gut da. Neue Farbe allein würde jedoch Fehler im Design nicht übertünchen, doch unsere ist schon das schicke Facelift-Modell. Im Gegensatz zur zurückhaltenden Vorgängerin gab Honda hier Gas: Das prägende V ist als Designelement allgegenwärtig. Zum Beispiel in der Form der Scheinwerfer, des Rücklichts oder der Lufteinlässe in der Vollverkleidung. Das passt!

Sie ist ein Sporttourer, das war damals in Mode. Nicht ganz so hart und unbequem wie ein Supersportler, aber gut für die schnelle Runde und reisetauglich. Heute sind diese Modelle fast völlig ausgestorben – und falls es sie gibt wie die Ducati Super Sport, schaffen sie es nicht in die Top 50 der Zulassungsstatistik. Die allgegenwärtigen Adventure-Bikes haben sie längst überholt.

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Die hatte Potential

Doch, wie gesagt, wir haben uns spontan für sie entschieden, als wir ihrer in Kaltenkirchen bei Hamburg ansichtig wurden. Auf den ersten Blick stand sie traurig da, in Silber mit nachträglich unschön angebauten, roten Zierteilen. Knapp 70.000 Kilometer hatte sie auf der Uhr, nicht viel für eine Honda. Wir vermuteten einen guten Kern unter der traurigen Hülle, und wir lagen richtig. 1.600 Euro wechselten den Besitzer. Größere mechanische Schäden gab es nicht, technisch mussten wir nicht viel tun, was über eine große Jahresinspektion hinausgegangen wäre. Am meisten Zeit floss in die Demontage zur Lackierung und dem anschließenden Aufbau. Insgesamt hätte der Aufbau 4.695 Euro gekostet (siehe Kostenaufstellung am Schluss).

Warum aber das V, und warum sollte man sich für eine VFR entscheiden? Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, unter anderem die edle Abstammung unseres Bikes. Sie ist technisch eng verwandt mit der RVF 750, und dieses Bike ist nichts anderes als das (damalige) Homologationsmodell für die Superbike-WM. Das Kürzel RVF schlüsselt sich auf in R für Racing, V für den V-Motor und F für four (vier). Und auch unsere VFR hat den V4-Motor mit 109 PS unter der Verkleidung. Er verfügt über ein technisches Detail, was bei den Testfahrten erst für Überraschung und dann Begeisterung sorgt: Die Honda hat eine hydraulische Ventilsteuerung. Bis etwa 7.000 Touren arbeitet der Motor als Zweiventiler, darüber als Vierventiler („V4-VTEC-System”).

Genug geredet, was zählt ist auffer Straße.

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Bei 7.000 geht's nochmal ab

Das waren noch Zeiten: In der Mitte prangt unübersehbar der analoge Drehzahlmesser. Porschefahrer kennen diese Anordnung aus ihrem 911er. Alles andere als die Drehzahl erscheint unwichtig und wird folglich in kleine, aber gut ablesbare TFT-Displays ausgelagert: Tacho- und Temperaturanzeige links, Tank- und Zeituhr sowie zwei Tages- und ein Gesamtkilometerzähler rechts vom Drehzahlmesser.

Der Aufstieg ist easy, die Sitzposition ziemlich sportlich. Das ist insofern überraschend, weil bei unserer VFR nicht nur ein breiterer, sondern auch ein höher montierter Lenker angebaut ist. Wären es die serienmäßigen Stummel, das Ganze würde sich potenzieren. Von der Sitzposition her also eindeutig mehr Sport als Tourer, aber das hätte man sich bei den Genen denken können.

Der Sound ist heftig, aber nicht prollig. Das liegt an dem viele mechanische Geräusche produzierenden Motor, aber natürlich auch an der Zubehör-Auspuffanlage von Laser. Die klingt super, und die vier Rohre unter dem Sitz sehen mördercool aus. Hätten wir ein Vormodell der VFR (von 1998 bis 2001), wären die Zahnräder des Nockenwellenantriebs mit einem lauten Pfeifen zu hören, doch unsere hat den Kettenantrieb (der allerdings bei einer Reparatur günstiger ist). Jetzt los, bevor die Nachbarn uns die Freundschaft kündigen. Hier könnt ihr den Sound der Serienanlage mit unserem Auspuff vergleichen.

Gut ist, wenn die VFR direkt losfahren kann. Schlecht ist, wenn sie rangiert werden muss. Nicht nur ist der Wendekreis sehr groß, sie ist mit 249 Kilo kein leichtes Mädchen.

Aber einfach zu bedienen. Handkraft für die Kupplung? Überschaubar. Getriebe? Leichtgängig und präzise, auch nach 70.000 Kilometern. Honda eben. Auch das Licht ist sehr gut. Jetzt stechen wir mit Schwung in die Straße, was zwei Gründe hat: Erstens macht es Spaß, und zweitens sieht man nach hinten eh nichts, also weg hier. Wir haben statt der serienmäßigen Spiegel zwei Zubehörspiegel verbaut, aber das Ergebnis ist nur marginal besser: Die Rücksicht ist und bleibt schlecht.

Eindeutige Suchtgefahr besteht beim  Fahren – besser: beim Ausdrehen. Bei 7.000 Touren liegt nicht nur die Grenze zwischen Zweiventil- und Vierventilbetrieb, sondern auch zwischen Gut und Böse. Die dunkle Seite der Macht zeigt sich in einem schlagartig einsetzenden Leistungsschub. So etwa haben frühe Turbomotoren reagiert: Unten herum nichts, oben geht die Luzie ab. Mit dem Unterschied, dass die VFR untenherum keineswegs lahm ist. Kleiner Wehmutstropfen: Das V4-VTEC-System sorgt nicht nur für Leistung, sondern auch für deutlich spürbare Vibrationen in der ansonsten bequemen Sitzbank.

Das plötzliche Aufplustern der Leistung zu erleben macht Spaß und ist übrigens bei einer neuerlichen Modellpflege 2006 deutlich reduziert – wir bevorzugen unsere, einfach wegen des Spaßfaktors. Diesen sollte man bevorzugt bei guten Fahrbahnverhältnissen genießen, denn die Honda hat keine Traktionskontrolle. Überhaupt gibt es außer einem einfachen ABS keinerlei elektronische Helferlein.

Das ist bei so alten Motorrädern keine Überraschung. Der Fahrkomfort der schweren Honda ist gut, sie liegt jederzeit gut auf der Straße. Standen frühe japanische Power-Bikes in dem Ruf, zwar gute Motoren, aber lasche Fahrwerke zu besitzen, so trifft das bei der VFR nicht zu. Die fährt sich präzise, da kann sie heute locker mithalten. Das gilt ebenso für die richtig gute Bremsanlage. Gut zu dosieren, kraftvoll zubeißend, das geht voll in Ordnung.

Teuer, aber jederzeit wieder

Was bleibt? Ohne Sponsoren wäre das eine ziemlich teure Angelegenheit geworden, da gibt es günstigere Offerten im Netz. Und dennoch sind wir froh, dieses Experiment gewagt zu haben: Die Honda ist zu gut, um es nicht zu probieren. Unser Rat an alle, die sich mit einem Sporttourer anfreunden können: Unbedingt in die engere Wahl ziehen!

Das war die Emotionsabteilung unseres Gehirns, zur Wahrheit zählt aber auch, dass sich diese Kosten bei einem Verkauf nicht hereinholen lassen. Aber egal: Was wir weiter mit der VFR anstellen, haben wir noch nicht entschieden. Wir genießen jetzt einfach mal :)

Das hat der Spaß gekostet, alle Zahlen in Euro:
Motorrad: 1.600
TÜV: 80
Batterie: 100
Bremsbeläge und Luftfilter: 230
Öl und Ölfilter: 40
Blinker vorne: 62
Zündkerzen: 146
Halogenlampe 40
Tankdecken: 20

In Summe sind das 2.318 Euro. Dazu haben wir von Sponsoren Leistungen erhalten. Für neue Michelin-Reifen, LSL-Hebel und Spiegel sowie die Lackierung wären weitere 2.377 Euro fällig gewesen, summasumarum also 4.695 Euro.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Preis: 12.240€ (2002)
  • Gebraucht ab etwa 1.500 €
  • Baujahre: Modell RC46II 2002-2010
  • Verfügbarkeit: gut
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