Test: Zero SR/F

Absolute Power

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Man muss ja mit der Zeit gehen … muss man das wirklich? Um das herauszufinden, testen wir mit der Zero SR/F unser erstes Elektromotorrad. Und erlebten eine Überraschung.

Die Zukunft sieht normal aus

Da steht die Zukunft vor einem und Dietmar und ich fragen uns, ob dahinter Taktik steckt. Die batterielektrische Zukunft kommt auf den ersten Blick völlig traditionell daher, manche mögen sagen, altbacken. Selbst einen Tank gibt es, jedenfalls ein Bauteil, welches so aussieht. Offensichtlich hat sich der kalifornische Hersteller Zero dazu entschieden, mögliche Kunden nicht durch eine besonders futuristische Gestaltung der Maschine zu verschrecken.

Ob das die richtige Taktik ist, können wir nicht beurteilen. Den meisten aus unserer Testmannschaft gefiel das klassische Design der Zero. SR/F steht für Streetfighter … nun ja, eher ist sie ein Naked Bike. Ein sauber gemachtes, und auf den ersten Blick ist von der Zukunft wenig zu entdecken. Wo bei normalen Motorrädern der Motor ist, steckt der Akku, der optisch als Motorblock eines BMW-Boxers durchgehen könnte. Der eigentliche Motor (Z-Force 75-10, Permanentmagnet Wechselstrommotor, passiv luftgekühlt) sitzt in der Schwinge am Hinterrad. Diese Position ist deshalb gut, weil erstens der Schwerpunkt sehr niedrig liegt und zweitens der Abstand zum Hinterrad immer gleich bleibt. So muss der Antriebsriemen nicht immer nachgeführt werden, egal wie sehr das Hinterrad einfedert. Zero nennt das „kupplungsfreier Direktantrieb“.

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Wäre sie ein Benziner, dann die Super Duke

Der Lithium-Ionen-Akku fasst 14,4 Kw und damit genug für rund 150 sorgenfreie Kilometer. Im „Eco“-Fahrmodus sollen es über 200 sein, aber die Realität liegt eher bei 150. Je nach Ladestrom und technischer Ausrüstung dauert das Laden zwischen 4,5 und 1,8 Stunden (mit 6 Kw Schnellladeoption). Das Premium-Modell kann das alles etwas besser: Die Ladezeit beträgt nur noch 2,5 Stunden (95% in 1 Stunde mit 6 Kw Zero Rapid-Charger), kostet aber 3.500 Euro Aufpreis. Einmal Volladen kostet rund drei Euro und ist damit zwei Drittel günstiger als bei Verbrennern. Wo wir gerade bei den Kosten sind: Der Motor der Zero ist völlig wartungsfrei. Da nicht vorhanden fallen noch die Kosten für und als mögliche Defektquellen Motoröl, Kühlwasser, Getriebe, Kupplung, Auspuff, Schalthebel und den Kettensatz weg.

Das Gewicht übrigens, neben der Reichweite die zweite Archillesferse elektrischer Mobilität, ist mit 220 Kilo erfreulich gering. Vor dem Start schleichen Dietmar und ich immer wieder um die Zero herum – womit könnte man sie denn vergleichen, wenn sie ein „normales“ Motorrad wäre? Uns beiden kommt die kürzlich getestete KTM Super Duke 1290 in den Kopf.

Also los.

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So fährt sie sich

Der Schlüsseldreh bewirkt zweierlei: Erstens ist das ganze Motorrad sofort scharf gestellt. Ein Dreh am Gasgriff würde bewirken, dass die Zero nach vorne stürmte, je nach gewähltem Fahrprogramm heftig oder sehr heftig. Zweitens ist die Zero mehr als andere Motorräder ein fahrender Computer. Alle Systeme sind miteinander vernetzt, die Zero hat sogar ein eigenes Betriebssystem namens "Cypher III".

Das macht Sinn, denn neben einem normalen ABS und der Traktionskontrolle sind 4 feste und 10 freie Fahrmodi serienmäßig, dazu ist das Bosch Motorradstabilitätskontrolle (MSC) als Sicherheitssystem an Bord.

Nun ja, Dietmar und ich fahren nicht erst seit gestern Motorrad, zudem sind uns leistungsstarke Motorräder nicht fremd, auch die 177 PS-starke Super Duke haben wir gemeinsam getestet. Dietmar fährt die erste Runde auf der Zero, ich das Kameraauto bis wir die einsame Straße für unsere Fotos erreicht haben.

Traditionell frage ich Dietmar auf dem ersten Stop nach seinen ersten Eindrücken: „Und?“. Tja, da fehlen ihm erstmal die Worte genau wie mir nach der ersten Runde. Ich selbst hatte mich nur auf die nicht sonderlich aufregenden PS-Werte von 110 konzentriert. Das ist gut, aber jetzt nicht der Reißer.

Natürlich wissen wir alle, dass das Drehmoment viel wichtiger als PS-Zahlen ist, und auch die zweite Eigenschaft von Elektromotorrädern ist bekannt, nämlich dass dieses Drehmoment von der ersten Umdrehung an zur Verfügung steht. Allerdings: Was das in der Praxis bedeutet, lässt sich mit Worten kaum beschreiben. Die 190 Newtonmeter fallen über den Biker her, es ist eine unendliche Macht. Die Beschleunigung ist mit 3,3 Sekunden auf Superbike-Niveau (Vmax 200 km/h), hier verhindert die Physik in Form von mangelnder Haftung einen besseren Wert, zudem beschleunigt die Zero aus Sicherheitsgründen nicht mit voller Leistung. Eine weise Entscheidung.

Deutlicher als nullhundert macht die enorme Leistung die Marke für den Zwischensprint von 60 auf 100 Kilometer deutlich, die die Zero mit unter einer Sekunde geradezu pulverisiert.

Hatte ich zu Anfang gedacht, dass mich der Sound nerven würde oder aber die kurze Reichweite, wird der Fahreindruck der Zero SR/F von der schieren Gewalt des Drehmoments bestimmt. Jeder andere Eindruck muss sich dem unterordnen. Das übermächtige Drehmoment hat auf der einen Seite sein Gutes: Alle anderen Funktionen wie Bremsen, Komfort oder Kurvenverhalten sind tadellos und müssen deshalb nicht weiter bedacht werden. Andererseits entscheidet sich an dieser digitalen Art der Zero auch, ob sie ein Kaufkandidat ist oder nicht. Das muss genauer erklärt werden.

Bei normalen Motorrädern ist der Fahrer direkt an der Entstehung der Geschwindigkeit beteiligt. Er muss beispielsweise Schalten und dazu entweder den Drehzahlmesser im Auge behalten oder sich am Geräusch orientieren. Motorradfahren erfordert eine dauerhafte Anpassung zwischen Maschine und Fahrer. Im Idealfall entsteht das „eins“ mit der Maschine werden, was ich persönlich gerne als Flow bezeichne. Auf zügig gefahrenen Pässen entsteht dieser Flow am schönsten und macht für mich einen der hauptsächlichen Reize des Motorradfahrens aus.

Digitales Motorradfahren

Viele dieser Empfindungen fallen durch die digitale Form des Motorradfahrens weg. Die Zero ist einfach schnell, sauschnell. Dazu genügt ein Dreh am Gashebel, mehr nicht. Wer das mag, oder für wen gerade diese unmittelbare Umsetzung den Reiz ausmacht, für den ist die Zero eine klare Kaufempfehlung.

Die Frage jedes Tests ist es herauszufinden, ob das Testobjekt gut oder schlecht ist. Die Zero SR/F ist unter den Einschränkungen aller batterielektrischen Fahrzeuge (teuer, wenig Reichweite) nicht nur ein gutes, sondern ein sehr gutes Motorrad. Die Zero ist insgesamt und in der Summe ihrer hochwertigen Bauteile ein tolles Motorrad. Allerdings eines, das den Fahrer digital entkoppelt mit dem bedient, was sie am besten kann – gnadenloser Durchzug ohne Ende.

Und ich habe eine Erkenntnis gewonnen: Bislang nahm ich an, dass zu meiner Definition von Fahrspaß die Motorleistung den größten Teil beiträgt – jetzt weiß ich, dass mir die Art und Weise, wie diese Leistung entsteht, wichtig ist.

Das Testbike wurde uns von Tecius & Reimers in Hamburg zur Verfügung gestellt.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Preis: 20.490 €
  • Gebraucht (4 Jahre alt): 10.000 €
  • Baujahre: seit 2012 (Vormodell)
  • Verfügbarkeit aller Zeros: ab 2007, wenig Angebote
  • Farben: rot, blaugrau
Pro & Kontra
Pro:
  • Fahrleistungen
  • Verarbeitung
  • Fahrkomfort
  • Bremsen
  • Unterhaltskosten
Kontra:
  • Preis
  • Reichweite
07.2019: Test: Zero SR/F
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