Test: Yamaha XSR 900

Gesucht: Liebhaber der schönen Künste

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Die XSR ist die mit Retroelementen verzierte Schwester der sehr erfolgreichen Yamaha MT-09. Wo sind die Unterschiede? Wir testen eine Gebrauchtmaschine aus dem Jahr 2017 mit 9500 Kilometern auf der Uhr, um exakt das herauszufinden.

Basis ist die sportliche MT-09

Ein Motorrad einfach als Retromobil zu deklarieren, so einfach macht Yamaha sich die Sache natürlich nicht. Kann ja jeder, also verweist Yamaha bei der XSR 900 lieber auf das "Heritage", also das Erbe oder schützenswerte Kulturgut.

Fragt sich, wessen Erbe da geschützt werden soll, wir vermuten das der erfolgreichen und seit 2013 den Markt aufmischenden MT-09. Wer noch nicht das Vergnügen hatte: Die MT-09 tut so, als ob sie ein normales Naked Bike wäre, aber sie ist es nicht. Sie ist ein teils brutales Rasgerät, welches immer mehr Leistung unter dem Tank hat als die offiziellen 115 PS und 87,5 Nm Drehmoment. Rund herum ist sie ein tolles Motorrad, welches lediglich leichte Schwächen beim Fahrwerk hat.

Nun also Retro, sieht schick aus (und kostet mit 9.995 Euro rund einen Tausender mehr als die MT-09). Die Sitzbank in einem Braun-Aubergine-Ton harmoniert bestens mit den gebürsteten Aluelementen am Tank. Die Liebe zum Detail kann man Yamaha nicht absprechen, so ist beispielsweise der runde Frontscheinwerfer nicht nur passig zum Rest, allein dessen Halterung ist ein wunderschönes Detail.

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Das Cockpit ... nunja ...

Zwei nicht serienmäßige Extras aus dem Zubehörhandel zeigen jedoch, dass der Vorbesitzer versucht hatte, zwei grundsätzliche Mängel der meisten Naked Bikes auszumerzen: Selten gibt es Platz für Gepäck, und Windschutz existiert schon mal gar nicht. Das nachgerüstete Windschild macht seine Sache dabei ganz gut. Der Windschutz ist für normal große Fahrer okay. Vor allem jedoch stört es die Linie nicht. Unter der Woche abmontieren und für die Tour am Wochenende wieder dranbasteln, lautet die Devise.

Nicht ganz so prickelnd ist das ebenfalls nachgerüstete Gepäckträgersystem. Kurzum: Die ständig sichtbaren Halter stören das saubere Design ziemlich. Man kann es der Yamaha nur schlecht vorwerfen: Dieses Problem hat jedes Naked Bike.

Die meisten Retro-Bikes versuchen über ihr Cockpit zu punkten. Nun könnte man annehmen, dass sie der früheren Optik mit den analogen Rundinstrumenten nahekommen wollen, aber das wäre den Yamaha-Ingenieuren viel zu einfach. Also legten sie die Cockpits der MT-09 und des ebenfalls verwandten Adventure-Bikes Tracer 900 GT beiseite und fingen nochmal neu an. Das Ergebnis ist zumindest rund, soviel ist gut. Es ist allerdings fast das einzige, was man Positives sagen kann, denn das digitale Rundinstrument ist nicht nur dürftig abzulesen, sondern auch überladen.

Nun aber los.

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Nur dem Namen nach retro

Was sofort auffällt ist die mit 830 Millimetern etwas höhere Sitzposition im Vergleich zur MT-09. Allzu kurze Beine sollte man nicht haben. Etwas breiter ist der Lenker geraten. Die Sitzposition ist ebenfalls anders: Durch den längeren Tank sitzt der Fahrer nicht so vorderradorientiert wie beim Ursprungsmodell.

Beim Fahren ist die Yamaha XSR 900 alles Mögliche, aber eines nicht: retro. Sie ist im Gegensatz dazu die moderne Interpretation eines Sportmotorrades. Unter den bislang von uns getesteten Retrobikes ist sie die sportlichste. Mit dem Lenker und der Sitzposition hat der geneigte Biker das mit 195 Kilo recht leichte Mobil jederzeit sicher im Griff. Das Fahrwerk ist gefühlt etwas straffer ausgelegt als bei der MT. Das verwundert etwas, denn Liebhaber von Retrobikes würde man sich als komfortorientiert vorstellen.

Wie dem auch sei: Sollten sie das sein, ist die XSR die falsche Wahl. In ihrer ganzen DNA ist sie eine Rakete, die immer und überall kampfbereit ist. Der Motor erscheint wie bei der MT jederzeit stärker als die offiziellen 115 PS. Und das Bike kommt auch von unten heraus. Yamaha attestiert dem Dreizylinder gerade einmal 87,5 Newtonmeter, gefühlt sind es weit über 100.

Bei unseren 0-100 km/h Messungen zeigt sich die XSR als Bodenrakete und stieg im ersten wie zweiten Gang gerne aufs Hinterrad. Wer das nicht mag, sollte sich mit den unterschiedlichen Fahrmodi beschäftigen. Tatsächlich sind diese nicht nur Spielerei, sondern bringen Unterschiede ins Moped und auf die Straße. Wir sind in der sportlichsten Einstellung herumgedüst, es geht aber ruhiger.

Zum sportlichen Charakter passt der Sound. Der typische Dreizylinder-Klang ist nicht so turbinenartig wie ein Vierzylinder und natürlich nicht so bollerig wie ein V2. Aber sie giftet und faucht schön herum, bis sie bei maximal 11.250 Umdrehungen abgeriegelt wird.

Fazit - lohnt der Kauf?

Und zum Schluss die alles entscheidende Frage: Kaufen oder nicht? Die logische Antwort muss lauten: nein. Für über 1.000 Euro mehr kann sie nur eines besser als die MT-09: Sie behandelt den Sozius wie einem Menschen. Wer ihn fürstlich platzieren möchte, greift zur Tracer 900 GT, aber da stehen dann stattliche 12.400 Euro auf dem Preischild. Für die XSR bleibt nur die Frage, ob sich jemand in die Optik verliebt - und sie aus der Gefangenschaft des Händlers befreien möchte.

Das größte Problem der Yamaha XSR 900 ist die Verwandtschaft in Gestalt der MT-09. Denn diese ist zwar nicht retro, aber sieht ebenfalls richtig klasse aus.

Das Testbike wurde uns von Motorrad-Ruser zur Verfügung gestellt.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Preis: 9.995€
  • Gebraucht (2 Jahre alt): 7.200€
  • Baujahre: seit März 2016
  • Verfügbarkeit: gut
  • Farben: weiß, grau, schwarz
Pro & Kontra
Pro:
  • extrem potenter und elastischer Motor
  • giftiger Triple-Sound
  • technisch sehr gut ausgestattet
  • leicht und zugänglich
  • präzises Fahrwerk und gute Bremsen
Kontra:
  • geringer Lenkeinschlag
  • Design polarisierend bei Sitzbank und Underfloor-Auspuff
10 2022: Yamaha XSR 900
06 2019: Test: Yamaha XSR 900
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