Fotos: Motorradtest.de
Nächster Tabubruch bei Ducati: Die Desert X ist die erste Ducati seit vielen Jahren mit einem 21 Zoll Vorderrad. Sie unterstreicht damit ihren Anspruch auf eine ernst zu nehmende Gelände-Tauglichkeit und will offenbar am Erfolg der Yamaha Ténéré 700 teilhaben. Wie sie sich vor allem im normalen Betrieb auf Landstraße und Autobahn schlägt, haben Volker und Dietmar ausgetestet.
Größer als eine GS
Ducati wird mutiger. Alte Gesetze werden missachtet und das tut den Maschinen aus Bologna spürbar gut. Der Aufschrei war groß, als vor wenigen Jahren eine Monster ohne Gitterrohrrahmen vorgestellt wurde. Dann die Multistrada V4 ohne 17 Zoll Vorderrad - ob die noch gut um die Kurve geht? Ging sie. Und nun also eine Reise-Enduro mit 21 Zöller. Es gibt die Desert X nur in mattem weiß mit schwarz-grau-roten Akzenten. Erinnert optisch an die Lucky Strike Editionen der Cagiva Elefant und sieht richtig gut aus.
Foto: Ducati
Für uns ist die Desert X eine echte Augenweide. Die Proportionen stimmen von vorne bis hinten, dazu wunderschöne Speichenräder auf schwarzen Felgen und ein sofort erkennbarer Doppelscheinwerfer mit Kreuzoptik. Die Maschine wirkt live gar nicht so mächtig, was ist in Wahrheit aber ist: Satte 2,39 m lang und gesegnet mit einem Radstand von 1,61 m. Zum Vergleich: Eine aktuelle GS 1250 ist knapp 20 Zentimeter kürzer und hat einen 9 Zentimeter kürzeren Radstand - das sind im Motorradbau Welten! Größer heißt dabei nicht unbedingt besser, aber Ducati wollte halt eine Reise-
Enduro auf die Beine stellen, die vor keinem Berg oder vor keiner Sanddüne halt macht. Die offiziellen Werbevideos wurden in der Wüste aufgenommen, sicherlich kein Zufall.
Sitzen tut man auf der Desert X superbequem. Der Kniewinkel ist entspannt, die Hände fallen wie von selbst auf den Lenker und der Rücken ist aufrecht wie ein Strich. Auch als Beifahrer kann man sich wohlfühlen, obwohl nicht so viel Platz ist wie auf einer Multistrada. Man findet auf der Desert X zwar einen Haltebügel, trotzdem fühlt man sich nicht so fein integriert wie auf der Multi. Es gibt auch keine integrierten Kofferträger, deshalb kostet das Set auf Koffern plus Trägerrahmen leider auch knapp über 2.000 Euro.
360 Grad Rundgang um die Ducati Desert X
Technik der Desert X
Die Desert X ist bereits in Serie bis auf die Heizgriffe komplett ausgestattet. Es gibt eine 6-Achsen IMU mit Kurven-ABS und schräglagenabhängiger Traktionskontrolle, Wheelie-Control, Motorbremse, sechs konfigurierbare Fahrmodi, Tempomat, QuickShifter sowie ein hochkant gestelltes 5 Zoll Farb-TFT-Display. Dazu gesellt sich eine LED-Lichtausstattung inkl. Tagfahrlicht und selbstrückstellende Blinker nebst Warnblinkanlage.
Optional gibt es dann noch eine Pfeil-Navigation per App (247€), eine Diebstahl-Sicherung (272€), Nebelscheinwerfer (385€) sowie Tourenscheibe (178€) und Sturzbügel (560€). Nimmt man dann noch die Heizgriffe (286€) und das Kofferset samt Topcase & Träger dazu, landet man bei genau 21.000€. <gulp>. Nun ja, dann hat man allerdings eine im Vergleich zur Yamaha Ténéré World Raid (13.074€) auch wirklich komplett ausgestattete Maschine.
Es gibt übrigens noch jede Menge weiteres Zubehör im Ducati-Konfigurator, keine Sorge. Ob man dies nun alles wirklich braucht oder nicht, kann zum Glück jeder selbst entscheiden. Ohne Zubehör ist die Desert X für 16K aber wie gesagt schon ziemlich gut bestückt.
So fährt sie sich
Bevor es los geht, hören wir uns den Sound an (Soundcheck rechts oben). Typischer Ducati-V2-Sound, würden wir mal sagen. Das Standgeräusch liegt bei 94 dbA, hört sich aber - wie eigentlich immer bei Ducati - lauter an. Während der Fahrt verwöhnt die Desert X den Fahrer mit einem betörenden Ansauggeräusch. Zwar nicht ganz so prägnant wie bei einer KTM 1290 Super Duke R, aber immer noch spür- und hörbar.
Die ersten Meter auf der Desert X werden nur die wenigsten Probefahrer vergessen. Man sitzt derart souverän und hochherrschaftlich auf diesem Ross, dass man gar nicht wieder absteigen möchte. Erstaunlich auch, wie leicht man sich hinstellen kann! Das im Stehen fahren gehört sowieso zu den Paradedisziplinen der Desert X. Wir sind zwar nicht die Sanddünen aus dem Werbevideo abgefahren, aber selbst beim Ritt über unsere norddeutschen Äcker hatten wir viel Spaß. Das macht die Maschine alles mit links, auch bei flotter Fahrt fühlt man sich im Gelände nicht unsicher.
Die 223 kg Gewicht (fahrfertig) sind für echte Geländegurus zwar etwas zu viel, dafür wird´s auf der Straße aber angenehm stabil. Die ausgewogene Fahrgeometrie und das 21 Zoll Vorderrad bringen jede Menge Ruhe ins Gebälk, dazu ergeben die langen Federwege von 230/220mm eine extrem komfortable Fahrt. Die voll einstellbare Kayaba Gabel spricht sensibel an und gibt gute Rückmeldung, das ebenfalls voll einstellbare Kayaba Monofederbein ist etwas straffer, aber nicht unkomfortabel. Die amtlichen und schlauchlosen Pirelli Scorpion Rally STR sehen nicht nur klasse aus, sondern haben auch der Straße guten Grip. Natürlich kann man damit nicht so um die Ecken fegen wie mit einer Multi 1260 mit 17 Zoll Vorderrad und Straßenpneus, aber dafür ist die Desert X ja auch nicht gemacht.
Die Fahrerei fühlt sich tatsächlich sehr ähnlich an wie auf der
Yamaha T7 World Raid, wobei die Duc natürlich mehr Druck hat. Der V2 geht gut ans Gas, gibt sich drehwillig und bei etwa 6.500 Umin gibt´s nochmal einen Extra-Schluck aus der Performance-Pulle. Den Motor kennen wir ja schon reichlich z.B. aus der
SuperSport 950, der
Monster und aus der
V2-Multi und er ist einfach ein Prachtkerl mit Manieren und Charakter gleichermaßen.
Ein Sonderlob verdienen sich die Monoblock-Stopper von Brembo. Dosierbarkeit, Bremskraft und Bissigkeit sind auf einem extrem hohen Niveau. Bei Vollbremsungen (siehe Video ab Minute 23:00) geht die Maschine nicht aus dem Leim und bleibt stabil bis zum Stand. Auch auf der Autobahn (siehe Video ab Minute 26:00) liegt die Desert X recht ruhig. Allerdings kann sie beim Windschutz nicht mit der Mulitstrada mithalten. Schon bei Landstraßentempo wird es laut im Helm und bei 220 km/h musste Volker sich schon hinter der eher kleinen Scheibe verstecken, damit man ihn überhaupt noch verstehen konnte. Nun ja, ist halt eine zur Maschine passende Rally-Scheibe, die im Gelände sicherlich Sinn macht. Wer eher auf der Straße unterwegs ist, sollte sich die größere Tourenscheibe gönnen.
Ein weiteres Lob möchten wir bezüglich Garantie und Service-Intervallen aussprechen. 4 Jahre Garantie ohne Kilometerbegrenzung bekommt der Desert X Käufer und zum Service muss man lediglich alle zwei Jahre bzw. nach 15.000 km. Da es sich beim V2 um einen Desmo-Motor handelt, ist die Ventilspielkontrolle alle 30.000 km fällig.
Als Wettbewerber fällt einem natürlich als erstes die auch hier schon oft erwähnte Yamaha Ténéré 700 ein, und zwar in der World Raid Edition. Diese ist vom Datenblatt her der Duc schon ziemlich ähnlich, muss aber bei Ausstattung und Motor den Kürzeren ziehen. Ansonsten gibt es mittlerweile aber schon erstaunlich viele hochbeinige Reise-Enduros mit 21 Zoll Vorderrad, die wir alle bereits getestet haben und hier in einem Vergleich gegenüberstellen:
Alles gut also bei der Desert X? Im Prinzip ja, so richtig viel zu meckern haben wir nicht gefunden. Sie ist technisch ähnlich gut ausgestattet wie eine aktuelle Multistrada V4, wobei diese mit Radar-unterstützen Tempomaten und Totwinkel-Assi sicherlich noch das eine oder andere Ass mehr im Ärmel hat, dafür aber auch noch einmal 6.000 Euro teurer ist. Ganz klar: Wer viel auf der Straße und zu zweit unterwegs ist und auf Extras wie elektronisches Fahrwerk, Keyless Go etc. nicht verzichten möchte, der greift zur Multi. Wer eher alleine reist und den Gaul auch mal über den Acker treiben möchte, der nimmt die Desert X.
Fazit - was bleibt hängen
Ducati ist mit der Desert X ein großer Wurf gelungen. Die Maschine kann viel, ist dafür aber allerdings auch nicht gerade ein Schnäppchen. Ob so viel Technik bei einer geländetauglichen Reise-Enduro sein muss, ist sicherlich nicht unumstritten. Es wird beide Parteien geben, nämlich diejenigen, die sagen: "Zu viel Krams" und diejenigen, die sagen: "Geil, endlich auch mal zeitgemäße Technik an einer echten Geländemaschine".
Das Testbike wurde uns freundlicherweise von
Ducati Hamburg zur Verfügung gestellt. Dort steht die Desert X als Vorführer und darf sehr gerne auch von Euch Probe gefahren werden. Oder Ihr schaut einfach mal so bei Ducati Hamburg vorbei und genießt den betörenden Anblick italienischer Motorradbau-Kunst. Stehen bleiben werdet ihr bestimmt auch vor der Superleggera. Kaffee nehmen, genießen und Kontostand prüfen! Und dran denken: Wir leben nur einmal und das Leben ist verdammt kurz.
Preis/Verfügbarkeit/Farben/Baujahre
- Preis: 15.990€
- Verfügbarkeit: ab 06/2022
- Farben: weiß