Test: Triumph Street Twin

Kleiner Traum

image Fotos: Motorradtest.de

Die kleine Triumph Street Twin wurde bei ihrem Erscheinen 2016 nur von einem engeren Fankreis ernst genommen: Zu gering erschien die Motorleistung von 55 PS. Das änderte sich 2019, doch eine Leistungssteigerung von fast 20 Prozent ist absolut gesehen bei jetzt 65 PS nicht viel. Zu wenig? Genug Anlass für einen Test, um diese Frage zu klären.

Ein schönes Retro-Bike

Je näher man kommt, desto kleiner wird die Maschine. Seltsam, das sind wir eigentlich anders herum gewöhnt. Vor kurzem erst hatten wir die Triumph Speed Twin im Test, die erschien uns zwar kompakt, aber nicht als klein.

Und nun also die Street Twin. Absolut gesehen mit 215 Kilo nicht wirklich leicht, im Radstand von 1410 Millimetern nicht wirklich lang, von der Erscheinung her überraschend kompakt. Das Platz-nehmen ist hier auf der herrschaftlichen und großen Sitzbank wörtlich zu nehmen, ich erobere die Twin. Das fällt mir trotz meiner kurzen Beine diesmal erstaunlich leicht – kein Wunder, die Sitzhöhe liegt bei nur 760 Millimetern.

Das passt bei mir mit den kurzen Beinen vom Kniewinkel her gut, aber der im Vergleich langbeinige und 1,84 Meter hohe Dietmar ist da an der Grenze.

Ansonsten sieht sie einfach toll aus. Triumph nennt diese Modellreihe Modern Classic, was nichts anderes als Marketingdeutsch für ein Retro-Bike ist. Soll alt aussehen, ist es aber nicht. Das mag der eine oder andere als Verrat an der reinen Lehre ansehen, denn klassische Motorräder sollten danach wirklich alt sein. Die Triumph jedoch ist ein modernes Motorrad, auf der Habenseite hat sie deshalb alles an elektronischen Helferlein an Bord, was man heute eben so mitführt. Mit einer Ausnahme: Das ABS ist ein normales, kein Kurven-ABS.

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Leider nur eine Bremscheibe vorn

Auch anderswo wurde der Rotstift angesetzt, was bei einem Ganz-bestimmt-kein-Schnäppchen-Preis von 9.050 Euro eher verwundert. Beispielsweise gibt es einen klassischen Tacho, dessen analoger Bruder fehlt jedoch und wurde durch eine schnöde Digitalanzeige ersetzt, die in 50-Umdrehungs-Schritten die Drehzahl anzeigt. Der fehlende analoge Drehzahlmesser mag Geschmackssache sein, die lediglich einzelne Bremsscheibe vorne könnte wichtiger, weil sicherheitsrelevant, sein.

Wo wir den Preis schon erwähnt haben: Ein genauerer Blick auf die verwendeten Materialien zeigt, dass Triumph hier nicht gespart hat. Alu, schönes Leder auf der Sitzbank und viel Chrom ergeben zusammen mit dem gebürsteten Edelstahl der Auspuffanlage einen ausgesprochen guten Eindruck. Die Auspuffanlage bei uns kam aus dem Zubehör von Vance & Hines, die Serienanlage steht rein optisch dieser in nichts nach.

Ein klassisches Naked Bike also, nur eines ist anders. Mir war es immer schleierhaft, warum die meisten Naked Bikes ihre Beifahrer so quälen. Nicht so auf der Triumph, die dem Beifahrer zumindest ein bekömmliches Plätzchen eingerichtet hat. Mit einer Ausnahme, denn die Haltegriffe fehlen, man muss sich also an Mausi, Schatzi, dem Kurvengott oder wie immer die Person vorne genannt wird, festhalten.

Dann machen sich jetzt mal Mausi, Schatzi und der Kurvengott aus dem Motorradtest.de-Team auf den Weg, um eine oder zwei Runden zu drehen.

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Hubraum, Hubraum und Hubraum

Genau, beinahe hätten wir ihn vergessen, den Motor. Aber sofort nach dem Anlassen dumpfelt die Triumph dermaßen los, dass der Twin im Nu im Bewusstsein ist. Den langen Weg aus der Magengrube ins Gehirn hat er in Lichtgeschwindigkeit zurückgelegt und sorgt da wie dort für ein wohliges Schauern. Der Motor ist nach dem Losfahren die Überraschung überhaupt an der Triumph Street Twin. Vergesst die schmalen 65 PS, sie sind völlig bedeutungslos. PS gewinnen am Stammtisch, das Drehmoment auf der Straße, lautet eine alte Weisheit. Und eine weitere Redensart, die sonst nur von Druide zu Druide weitergegeben wird, haben wir am Start: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen, außer durch noch mehr Hubraum.

Um diese Weisheiten auf ihren Wahrheitsgehalt zu testen, drehen wir am Quirl. Und siehe da: Die satten 900 Kubik produzieren noch sattere 80 Newtonmeter Drehmoment, die gefühlt schon bei ausgeschaltetem Motor vorhanden sind. Unbeeindruckt von der jeweils anliegenden Drehzahl bollert sich die Street Twin voran. Natürlich ist sie nicht die Schnellste unter all‘ den Motorrädern, aber sie ist immer schnell genug. Und dabei von einer gelassenen Souveränität, die sich auf den Fahrer überträgt.

Auch wer es übertreiben will und extrem niedertourig fährt, bekommt von der Triumph kein beleidigtes Ketteschlagen oder unwilliges Ruckeln zur Antwort. Das ist insofern praktisch, als der digitale Drehzahlmesser wirklich unablesbar ist. Dunkelgrau auf grau im TFT-Display zeigt er Drehzahländerungen zackig in 50er-Schritten an. Mit anderen Worten: Es flimmert eigentlich immer. Und natürlich ist eine Digitalanzeige für schnell ändernde Werte immer schwierig: Assoziiert man mit jeder Anzeige eines analogen Instruments sofort einen Wert, so muss man den einer Digitalanzeige erst lesen, verstehen und einordnen. Was für ein Glück, dass die Triumph durch ihre Charakteristik keinen braucht.

Das Getriebe klongt immer präzise den passenden Gang nach, aber auch hier ist es retro bis zum Schluss. Mir fiel es schwer auf der ersten Testfahrt den sechsten Gang zu finden und ich beschwerte mich beim Testkollegen Dietmar. Dieser, wie immer gut vorbereitet, informierte mich darüber, dass die Street Twin in Sachen Gänge nur deren fünf vorweisen könne und mehr nicht brauche – recht hat er.

Und die Einzelscheibe? Die stammt von Brembo (hinten Nissin) und schlägt sich wacker. Gibt es an der Wirkung kaum etwas auszusetzen, so hält sich die Dosierbarkeit in Grenzen und die Handkraft ist auch eher hoch. Spitzenklasse geht irgendwie anders.

Dafür ist die Fahrsicherheit spitze. Das mit einer gesunden Härt eingestellte Fahrwerk (nur hinten am den Stereodämpfern in der Härte einstellbar) macht einen guten Job. Ein wenig empfindsam reagier die Dame auf Längsrillen die im Vorderrad zu spüren sind. Zwar ist die Schräglagenfreiheit auf der niedrigen Triumph nicht sonderlich hoch, aber hey: Wer auf Kurvenkratzen jetzt, morgen und immerdar steht, ist hier sowieso in der falschen Abteilung gelandet.

Für die schönen, kleinen Fluchten

Eine wirkliche Reisemaschine ist die Street Twin nicht, und das nicht nur wegen des fehlenden Windschutzes. Dafür ist sie ideal für die kleine Freiheit zwischendurch. Mit der Triumph gondelt man zügig, aber vor allem gelassen durch die Gegend. Erfreut sich an ihrem Anblick, dem Sound und der Leichtigkeit ihres Kurvenverhaltens.

Gern zu zweit. Schatzi, Mausi und der Kurvengott warten schon.

Das Testbike wurde uns von Triumph Hamburg zur Verfügung gestellt.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Preis: 9.050€
  • Gebraucht (3 Jahre alt): 7.500€
  • Baujahre: seit 2016
  • Verfügbarkeit: gebraucht mäßig
  • Farben: rot, schwarz, grau (matt)
Pro & Kontra
Pro:
  • Schöne Details
  • enorm durchzugskräftig
  • Sound
  • Verarbeitung
Kontra:
  • Windschutz
09.2020: Test: Triumph Street Twin
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