Test: Yamaha Niken GT
Doppelt fährt besser?
Die ungewöhnliche Yamaha Niken GT fand sich bei uns zum Test ein. Die Tourenvariante des dreirädigen Motorrades sorgte für Diskussionen, wo immer wir mit ihr auftauchten. Macht die aufwendige Technik wirklich Sinn?
MT-09 mit drei Rädern
Die Yamaha MT-09 ist ein tolles, rundum gelungenes Motorrad. Sie ist so gut, dass Yamaha nicht müde wird, neue Varianten davon zu erfinden. Ist die MT-09 ein Naked Bike, so gibt es beispielsweise die Tracer 900, die nichts anderes als das Adventure Bike auf gleicher Basis ist. Und dann ist da die Niken.
Das Basismodell brachten die Japaner 2018 an den Start, unsere GT-Variante ist neu – aber deshalb nicht weniger ungewöhnlich. Nur selten sieht man die Niken in freier Wildbahn, ein großer Verkaufserfolg ist sie nicht. Nun, das kann man von vielen Motorrädern behaupten, die Exklusivität der kleinen Stückzahl dient manchen sogar als Zierde. Es ist jedoch anzunehmen, dass Yamaha nicht Exklusivität im Sinne hatte, als die Ingenieure auf die verwegen erscheinende Idee kamen, ein Motorrad mit doppelten Vorderrädern auf den Markt zu bringen. Neu ist die Idee auch nicht: Als Roller gibt es den Piaggio MP3 schon seit 2006, ebenfalls mit doppelten Vorderrädern.
Vorne schwer, hinten leicht - auch optisch
Das auffälligste Merkmal der Niken ist natürlich die … tja … Vorderachse mit den doppelten Rädern. Diese sind mit 15 Zoll eher klein, was man über die eigentliche Aufhängung nicht behaupten kann. Allein vier massiv wirkende Gabelrohre halten die „Parallelogramm“ genannte Aufhängung in Kurven beieinander. Dieses ist auch verantwortlich für das stattliche Gewicht der Niken von knapp 270 Kilo sowie den optisch massigen Vorbau. Der Rest ist MT-09, auch der 115 PS starke, vorzügliche Sportmotor mit drei Zylindern. Je weiter es nach hinten geht, desto konventioneller wird die Niken.
Die neue GT-Variante setzt ihr Hauptaugenmerk auf die Tourentauglichkeit. Folgerichtig schraubten die Entwickler ein nicht verstellbares Windschild, eine langstreckentaugliche und bequemere Sitzbank sowie serienmäßige Textilkoffer ans Bike. Was die Dreifaltigkeit auf der Straße bringt, klären wir gleich. Was es kostet, steht schon jetzt fest. Bitte festhalten, denn das ungewöhnliche Konzept ist nicht gerade ein Schnäppchen. Die MT-09 steht für 8.995 Euro beim Händler, die Niken GT ist mit selbstbewussten 16.078 Euro eingepreist. 7.000 Euro mehr also, dazu kommen 267 Kilo für die GT zu den 193 Kilo der nackten Version.
Dann mal los.
Hoher Komfort
Das wichtigste gleich vorweg: Im Gegensatz zum erwähnten Piaggio-Roller nutzt Yamaha die drei Räder nicht dazu, um im Stand aufrecht stehen zu bleiben. Weiß man das nicht, kippt die teure Niken sang- und klanglos um. Der Aufstieg selbst ist problemlos. Der Sitz bequem, aber die Aussicht nach vorn ungewöhnlich: Der massige Vorbau ist breit und lang sowie mit einem Kunststofflook versehen. Um die niedrig positionierten Spiegel einzustellen, muss man sich ganz schön strecken.
Aber: Die Räder sieht der Fahrer nicht, die besondere Technik fällt nur den Passanten auf. Das Anfahren klappt trotz der Mehrkilo völlig undramatisch, übrigens drückt der nach wie vor überaus engagierte Motor die Niken in nur 3,6 Sekunden auf 100. 3,4 Sekunden braucht die MT-09, also gibt es hier kaum einen Unterschied. Bei der Vmax schon: Für die Niken ist bei 190 km/h Schluss, die nackte Schwester schafft 225 km/h.
Die Niken ist mit ihrer ungewöhnlichen Konstruktion endloser Stoff für Benzingespräche. Toll oder nicht? Auch innerhalb unseres Testeams sind wir nicht einer Meinung. Der Autor dieser Zeilen findet die Niken eher seltsam durchschnittlich. Obwohl 57% des Gewichtes auf der „Vorderachse“ liegen, fährt sie nicht mal überdurchschnittlich frontlastig – das ist gut. Die ganze Technik ist ingenieurmäßig schon eine Leistung, keine Frage. Aber wozu?
Man muss hier eines bedenken: Der bessere Grip an den Vorderrädern löst ein Problem, welches nur in Andeutungen existiert. Natürlich gab es schon Unfälle mit Motorrädern, weil die Vorderachse wegschmierte. Aber wie häufig passiert dies? Und zum zweiten ist die Lösung an sich Teil des Problems: Durch die schwere Technik im Vorderbau wird die Tendenz zum Untersteuern, also des Schiebens über die eingeschlagenen Räder, erst verstärkt oder gar erzeugt. Die beiden Vorderräder lösen ein Problem, welches ohne sie nicht oder nur in sehr geringem Maße bestanden hätte. Zum Schluss ein Fakt, der im Test zu spüren war: Auf rutschiger Bahn ist die Haftung verbessert. Aber eben nur vorne, an der Hinterhand wird die Niken leicht und in der Tendenz unpräziser zu fahren.
Die Gegenposition nimmt Dietmar ein. Die psychologische Unterstützung durch die doppelten Vorderräder, die Sicherheit suggerieren, ist für ihn nachvollziehbar. Dazu kommt die positive Seite des hohen Gewichts: Der Fahrkomfort ist ausgesprochen gut. Insgesamt sieht er die Niken als hochbegabten Tourer. Dazu allerdings kann man sich gleich die Frage stellen, ob der Motor hier der passende Partner ist. Ihm ist nichts vorzuwerfen, aber es ist ein Sportmotor, der unten rum nichts falsch macht, aber seine Hochbegabung erst im oberen Drehzahlbereich zeigt.
Ein Fall für Spezialisten
Unter dem Strich wird eines klar: Die Zielgruppe für die Niken ist recht klein. Preislich im Bereich von Deutschlands Superstar, der BMW R 1250 GS angesiedelt, muss man ihre speziellen Qualitäten schon sehr suchen, um beim Händler den Vertrag zu unterschreiben. Dass sie diese Qualitäten als Tourer oder bei der gefühlten Sicherheit hat, ist dagegen unbestritten.
Und schließlich darf man eines nicht vergessen: Die Niken mag laut Zulassungszahlen nur wenige Motorradfahrer zu begeistern. Aber sie könnte dazu führen, dass wir mehr werden. Das würde passieren, wenn die Niken dank ihrer Qualitäten Autofahrer von den Vorzügen des Motorradfahrens überzeugen könnte.
Das Testbike wurde uns von Motorrad Ruser in Haseldorf zur Verfügung gestellt.
Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre
- Preis: 16.078€
- Gebraucht (2 Jahre alt): 11.200€
- Baujahre: seit 2018
- Verfügbarkeit: mittel
- Farben: graphit, blau, rot