Test: Ducati Scrambler 800 Icon
Was taugt die Ikone?
Klar, erfunden haben die Scrambler-Motorräder die Franzosen. Aber irgendwie traut man die perfekte Scrambler nur Triumph und eben Ducati zu. 2019 haben die Italiener ihre sehr populäre 800er-Maschine aufgefrischt, wir konnten sie zum Test entführen.
Sie steht stramm da
Tatsächlich konnten die Italiener schon über 55.000 Stück ihrer Scrambler absetzen. Die Maschine attraktiv zu halten erfordert Einsatz, und so wird Ducati nicht müde, ständig neue Varianten aufzusetzen, die sich vor allem optisch unterscheiden. Dazu gibt es ein extrem umfangreiches Zubehörprogramm, mit dem sich die Scrambler individualisieren lässt. Die 1100er hatten wir schon im Test, jetzt musste die 800er mit 73 PS antreten.
Unser Exemplar kam in „Atomic Tangerine“, weiter gäbe es noch „62 Yellow“ – manche würden einfach orange oder gelb sagen. Viele Aluteile zieren die Scrambler, das hat sich nicht geändert. Insgesamt wirkt das Design mit den 10-Speichen-Alufelgen der 1100er in sich stimmig und sehr hochwertig gemacht. Dazu ist die eigentlich kleine Maschine (nur 2,16 Meter lang) mit einer optischen Präsenz gesegnet, die sich auf den ersten Blick nicht erklären lässt. Doch auf den zweuiten Blick ergeben die Fast-Stollenreifen, der hohe und breite Lenker sowie das kernige Alu ein geschlossenes Bild.
Weniger ruppig, mehr Komfort
2019 überarbeitet Ducati seinen Bestseller und beließ eines der Dinge unberührt: Den L-förmigen Zweizylinder, der ursprünglich aus der Monster stammt. Es muss für Ducati-Ingenieure beruhigend sein, für einen leistungsfähigen und charakterstarken Antrieb einfach ins Regalgreifen zu können. Ein bisschen ruppig ging das Aggregat zu Werke, ein neuer Gasgriff soll die Befehle jetzt progressiv und nicht mehr linear umsetzen. Kernige Umgangsformen mögen an einer Scrambler nicht weiter stören und sogar charakterbildend sein, aber etwas mehr Umgangsformen haben auch Kultbikes nie geschadet.
Ducati machte weiteren Handlungsbedarf am Fahrwerk aus, welches viele Kunden und Journalisten (unter anderem ich) als zu ruppig empfanden. Und schließlich stellte Ducati die Unsitte ab, keine Ganganzeige oder Tankuhr ins Cockpit aufgenommen zu haben. Bislang wurden die Kunden über eine Warnlampe informiert, wenn der Füllstand niedrig war, was nervig rüberkam.
Bevor es endlich losgehen kann, ein dickes Lob an Ducati. Die Italiener haben sich vor nicht langer Zeit dazu entschlossen, ihre Motorräder sicherer zu machen. Das hat auch den Grund, dass PS-Monster wie die Streetfighter ohne massive elektronische Eingriffe kaum fahrbar wären sobald die Straße nicht knochentrocken und absolut eben ist. Dieses Problem hätte die 73 PS-starke Scrambler nicht, aber sie bekam ein Kurven-ABS spendiert, ohne wesentlich teurer zu werden. So muss das sein, auch das leistungsstarke LED-Licht fällt in diese Kategorie.
Dann mal los.
Insgesamt viel Feinschliff
Erster Eindruck: Oha, hier sitzt der Pilot aufrecht und stabil. Der breite wie hohe Lenker erzwingt eine Sitzposition, die alles andere als sportlich ist. Weiter weg von einer Panigale kann man nicht sein als auf dieser Scrambler. Die neue Sitzbank verzichtet auf die Kuhle, so dass der Po seine eigene Position auf der Bank finden kann. Auf dem Vormodell fiel mir immer unangenehm auf, dass der Pilot auf der Maschine sitzt, nicht in der Maschine, daher wenig integriert. Dieses mochte ich nicht, jetzt empfinde ich die Sitzposition als gut integriert. Allerdings: Nach 15 bis 30 Minuten Fahrt wird die sehr rutschige Sitzbank unbequem, was den Griff zum Zubehör nötig macht.
Der Blick aufs neue Display registriert die löbliche Tankanzeige, aber dafür ist eine neue Marotte hinzugekommen: Die Drehzahl wird über schmale Blöckchen am unteren Rad des kreisförmigen Instruments angezeigt, was hoffentlich mit dem nächsten Facelift ausgebessert wird.
Der Sound ist für einen Ducati-Motor eher zurückhaltend, aber dennoch bassig und kraftvoll. Nervig laut wird sie nie, was die Nachbarn erfreut und zum Charakter passt. Der Motor ist eine Wucht. Es ist schon enorm, was dieser V2 so mit der leichten (nur 189 Kilo vollgetankt) Ducati Scrambler 800 Icon anzustellen vermag. Dabei ist es egal, ob man lieber hoch– oder niedertourig fährt. Natürlich sind 73 PS nicht üppig, aber jederzeit ausrechend. Insgesamt wirkt die Motorisierung der Scambler ausgewogen, ausgewogener als bei der großen 1100er. Klasse.
Und noch etwas hat sich geändert. Als ich einen Freund in Los Angeles besuchen war, nutzte ich an einem heißen Tag dessen 800er Scrambler für einen Ausflug ans Meer. Dabei fiel mir auf, dass es an meinem rechten Bein, dort, wo der Krümmer lag, sehr heiß wurde. Zurück in Hamburg (okay, hier ist es eher selten heiß) ließ sich dieser Effekt bei einer Testfahrt beobachten. Jetzt ist dieses Ungleichgewicht verschwunden.
Ebenfalls gut gefiel uns das Fahrwerk. Sportlich straff zwar, aber keineswegs unkomfortabel und deshalb völlig ok unter Scramblerianern. Das geringe Gewicht fördert naturgemäß die Wendigkeit der Icon, was den meisten eher stabil ausgelegten Ducatis fremd ist. Hier jedoch schwingt sie si ch samt Besatzung nach kurzer Eingewöhnung locker durch die Kurven, vernimmt den zufriedenen Klang des Motors und genießt die Landstraße als den idealen Lebensraum der 800er.
Keine Ducati, aber gut
Was bleibt von dieser ganz besonderen Ducati? Erst mal, dass sie eigentlich keine richtige Ducati ist. Diese sind laut, oft hart und auf Krawall gebürstet. Das genaue Gegenteil ist die Scrambler, und deshalb war die Ausgliederung dieser Maschinen in eine Submarke die richtige Entscheidung. Die ganze Maschine hat eine unaufgeregte Ausstrahlung, positiv und für den Genießer genau das richtige.
Sie ist ideal für die entspannte Tour nach der Arbeit und um den Block am Wochenende. Das nächste Facelift sollte neben einem neuen Drehzahlmesser auch einen besseren Soziuskomfort auf der kurzen Sitzbank mit sich bringen, denn positive Erlebnisse muss man teilen dürfen.
Das Testbike wurde uns von Ducati Hamburg zur Verfügung gestellt.
Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre
- Preis: 9.155€
- Gebraucht (3 Jahre alt): 6.700€
- Baujahre: seit 2015
- Verfügbarkeit: gut
- Farben: gelb, ornage