Test: Ducati Multistrada 1200

Rasen statt Reisen?

image Fotos: Motorradtest.de

Reisen, das hat was mit entspannen, mit Gelassenheit und ankommen zu tun. Also ziemlich all das, was Ducati mit seinen auf Krawall gebürsteten Bikes eher nicht so hinbekommt. Ob das trotzdem was werden kann mit dem Reisen, testeten wir mit einer gebrauchten Multistrada 1200 aus dem Jahr 2017.

Die etwas andere Duc

Manche großen Geschichten fangen ganz klein an. Mit einem Telefonat beispielsweise.

Stephan: „Dietmar, wir müssen mal wieder eine Ducati testen!“

Dietmar: „Okay“.

Stephan: „Bei Ducati Hamburg steht `ne gebrauchte Multistrada. Baujahr 2017, unter 5.000 gelaufen, knapp 12 große Scheine.“

Dietmar: „Okay.“

Stephan: „Ich hol sie, wir treffen uns Dienstag, 10 Uhr, am Barmstedter See.“

Dietmar: „Okay.“

Und so kam es. Warum eine Multistrada? Die Ducati Multistrada ist ein für die Firma Ducati eher ungewöhnliches Motorrad. Ähnlich der alten ST-Serie wurde sie anfangs von den "wahren" Ducati-Fans abgelehnt, weil sie kein kein Superbike ist. Heute ist das anders, auch wenn die erste Multistrada-Serie (ab 2003) alles andere als ein Erfolg war. Deren Optik war doch zu ungewöhnlich. 2010 überarbeitete Ducati die Modellreihe komplett. Nun sorgte ein flüssigkeitsgekühlter V2 mit 1200 Kubik und 150 PS für Vortrieb. Am wichtigsten aber: Ducati entsorgte die alte, lenkerfeste Verkleidung und brachte eine neue Vollverkleidung.

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Kaum Extras, aber guter Zustand

Die bislang letzte Überarbeitung der 1200er kam 2015. Seit 2018 ist die nochmals überarbeitete Ducati Multistrada 1260 am Start. Geblieben ist ihre Aufgabe: Sie ist die Ducati für alle, sie soll Funbike, Adventure und Sportbike in einem sein. Enduro-Stelzen, Sportfahrwerk, Superbike-Motor und eine aufrechte Sitzposition? Ein normales Adventure-Bike ist irgendwie anders. Der Ducati-Style fand zwei Nachahmer: Die nahezu ebenso brachiale KTM 1290 Super Adventure kam zuerst, selbst BMW fühlte sich genötigt, mit der S 1000 XR nachzuziehen.

Unser Testbike ist Baujahr 2017 und damit eine der letzten 1200er. Gut steht sie da, sie ist knapp 5.000 Kilometer gelaufen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es durchaus Ducatis gab (und gibt, falls ihr mal in meine Garage gucken wollt), die nach zwei Jahren Rostpuren an Schrauben oder Verbindungen zeigten. Bei unserem Bike ist alles bestens, es schlackern auch keine Kabel haltlos in der Gegend herum. Leider gingen mit der Überarbeitung die praktischen Fächer in der Verkleidung verloren, die Kreditkarte oder alles für die Zigarette danach aufnahmen.

In der Basisversion, die hier vor uns steht, sind die Extras rar gesäht, um nicht zu sagen, sie ist nackig. Koffer? Fehlanzeige. Sogar den Hauptständer sparte sich der Hersteller.

Na, mal gucken. Los also, Start im Norden Hamburgs.

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Wildes Sportgerät

Das Schöne an meiner Strecke bis Barmstedt ist immer wieder, dass es nach dem Aufheben der Geschwindigkeitsbegrenzung genau eine Ausfahrt dauert, bis ich wieder raus muss. Wie schnell schafft man es diesmal?

Die Strecke ist frei, der weiße Kreis mit den diagonalen Streifen von links unten nach rechts oben ist passiert. Bei 120 km/h runter in den Dritten - und nach gefühlt jeweils einer Sekunde den nächsten Gang nachschießen. Die Ducati Multistrada 1200 wirft sich jedes Mal nach vorne, auch bei hohen Geschwindigkeiten ist das wütende Ballern des 152 PS-V2 das prägende Geräusch. Der Schub reißt nicht ab, jenseits von 7.000 Umdrehungen wird es endgültig angriffslustig. 200 km/h rauschen durch als wäre nichts gewesen. Allerdings: Das überarbeitete Aggregat zeigt in der Drehzahlmitte fast so etwas wie einen Hänger, den man schleunigst durcheilen sollte.

So muss das sein, deshalb kauft und fährt der geneigte Sportsmann (m/w/d) Ducati. Auch die geschwungenen Kurven nach der BAB-Ausfahrt gehen sofort mit maximalem Einsatz, die Ducati flößt unheimliches Zutrauen ein. Der Fahrer muss sie jedoch aktiv steuern, von alleine geht hier nichts. Doch mit entsprechenden Führungsqualitäten lässt sich die Ducati wie die meisten ihrer Schwestern absolut präzise fahren. So erreicht man immer wieder Geschwindigkeiten, die man sich als Normalo-Motorradfahrer eigentlich nicht zugetraut hätte – und das, ohne sich oder die Duc zu überfordern.

In engen Kurven zeigt sich eine weitere Eigenschaft der Multistrada: Sie fällt förmlich in Kurven hinein, wozu das vergleichsweise kleine Vorderrad (19 Zoll)  seinen Teil beiträgt. So ist die große und nicht übermäßig leichte (232 Kilo) Duc im Ergebnis viel wendiger, als es die Ausmaße erahnen lassen.

Was sie auch kann: Langsam fahren. Niedrige Drehzahlen waren bislang bei Ducati verpönt. Unter 3.000 Umdrehungen ging kaum etwas – wer es versuchte, wurde umgehend mit Ruckeln und Kettenschlagen bestraft. Und jetzt? Nach wie vor ist es nicht die Königsdisziplin des 1200ers, doch es geht. Das ist heute immer wichtiger: Bei zunehmenden Tempolimits muss es möglich sein, im großen Gang 100 km/h zu fahren.

Das Fahrwerk ist straff gefedert, auch hier geht die Multistrada ihren eigenen Weg. Von sänftenartiger Gelassenheit keine Spur. Das zeigt sie schon optisch: Der fette Hinterreifen könnte so an einem Superbike auftauchen.

Alles paletti bei der Fahrdynamik also? Nicht ganz: Die Bremswerte sind gut, die Dosierung auch. Aber das geht zu 90% auf das Konto der vorderen Brembo-Stopper. Irgendwann möchte ich mal eine Duc fahren, bei der die hintere Bremse dauerhaft Leistung zeigt. Schon klar: Man wird ja noch träumen dürfen.

Superbike für den Alltag

Was bleibt hängen? Die Multistrada ist ein verkapptes Superbike, das alltagstauglich ist, lange Touren am Stück zulässt, sauschnell ist und auch dem Beifahrer bekömmliches Auskommen sichert.

Sie bietet fast die gleichen Fahrleistungen wie ein Superbike, die gleiche Stabilität, wenn es mal schneller gehen muss und packt eine Schippe Wendigkeit dazu. Sie ist das Superbike für den Fahrer, der sich nicht mehr aufs Motorrad kanten möchte, sondern die aufrechte Haltung genießen mag.
Mit ihrer ganzen Anlage hat sie Dietmar und mir viel Spaß bereitet.

Für alle anderen gilt: Überlegt euch das gut. Wer nicht ständig herausgefordert werden will, wer die Ruhe genießt, wem das ständige Anbrüllen auf die Nerven geht, wer vorrangig Cruisen möchte – lasst es bleiben.

Das Testbike wurde uns von Ducati Hamburg zur Verfügung gestellt.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Gebraucht (3 Jahre alt): 12.000€
  • Baujahre: 2010-2018
  • Verfügbarkeit: gut
  • Farben: rot, weiß, grau
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