Test: Yamaha XSR 700
MT-07 in retro
Das Wochenende ist genau Dein Ding? Aber nicht zum Entspannen, sondern weil in der Beilage der Tageszeitung steht, wo es Schweinebauch für 2,99 Euro das Kilo gibt? Dann, ganz ehrlich, ist dieser Test nichts für Dich. Alle andere erfahren, was es bei der Yamaha XSR 700 für einen deutlichen Mehrpreis zur Basis MT-07 gibt.
Retro-Bike auf MT-Basis
Dann fangen wird doch mal mit dem Anfang an. Also ganz weit vorne. Da kam Yamaha auf die Idee, eine Enduro zu entwerfen, die durch ihre Stabilität wie ihre Geländegängigkeit überzeugen sollte. So etwas gab es zwar schon, aber Anfang der 70er-Jahre des vorigen Jahrtausends hatte es meist keine Straßenzulassung. Fertig war das künftige Kultbike, die Yamaha XT 500.
Die eine Hälfte der Kunden pfiff auf die Zulassung, weil sie da, wo sie hinfahren würden, bestenfalls Pisten, aber keine Straßen im westlichen Verständnis finden würden. Die XT mauserte sich trotz ihrer schlanken 27 PS Maximalleistung zur Begleiterin jedes Weltreisenden in alle windigen, staubigen und angeranzten Ecken dieser Erde. Und eine zweite Klientel gab es auch vor 40 Jahren schon: diejenigen, die den Offroad-Look äußerst schätzten, aber auf der Straße blieben. Marlboro-Mann für Anfänger sozusagen. Insofern war die XT 500 ein sehr frühes Adventure-Bike.
Schnipp – willkommen im Hier und Jetzt. Da hat Yamaha ein formidables Bike im Angebot, die MT-07. Ein Naked Bike, 75 PS stark, gut und mit 6.799 Euro Neupreis günstig. Sie ist so gut, dass sie regelmäßig die Top 3 der Zulassungsstatistik bevölkert und auch wir waren in unserem Test sehr angetan. Was das mit der XT 500 zu tun hat? Na klar, die MT-07 bildet die Basis für die von uns getestete XSR 700, die moderne Interpretation der XT 500. Die meiste Technik ist identisch, der Preis jedoch nicht.
Billig ist die Sache nicht
Da stehen jetzt 8.495 auf dem Preisschild, mithin rund 1.700 Euro mehr als bei der MT-07. Was erhält der Kunde für diesen nicht unerheblichen Aufpreis von rund 25%? Nun, wir beantworten diese berechtigte Frage zweigeteilt. Emotional: ein knackiges Design mit gebürsteten Aluteilen, einen angesagten, irgendwie scramblerigen Look inklusive Mischbereifung und einen kurzen Auspuff. Logisch gesehen: nichts.
Kurz noch ein Wort zum Design, dann fahren wir endlich los. Die Yamaha XT 500 ist eine Enduro, das ist die neue XSR 700 erkennbar nicht. Vergessen wird oft, dass es neben der kultigen XT die nicht weniger kultige SR 500 gab, einen Cruiser. So gesehen zitiert die moderne Interpretation XSR nicht nur ein, sondern gleich zwei Motorräder. Und in der Schnittmenge beider entstand etwas, das einer Scrambler nicht unähnlich erscheint. Abschließend zum Thema Design: Auch wenn man den ganzen Retro-Kram beiseitelässt – Geschmack ist bekanntlich Geschmackssache - die XSR sieht einfach unverschämt gut aus.
Der Druck aufs Knöpfchen weckt den Twin, er blubbert zufrieden vor sich hin. Nicht übertrieben laut, eigentlich würde uns der optionale Akra-Auspuff gut gefallen. Allerdings: Das wären dann nochmal 1.500 Euro mehr, was den Aufpreis für die XSR auf nicht weniger als 50% der MT-07 Basis treiben würde.
Im Herzen eine MT-07
Zusammen mit dem Motor erweckt der Schlüsseldreh das ebenso runde wie digitale Display. Es ist schon erstaunlich, wenn man sich die Playstation-Gebilde mancher Motorräder anschaut, was man in dem vergleichsweise kleinen Display der XSR alles unterbringen kann. Dabei helfen der Yamaha zwei Umstände: Das inverse Display - hier erhält der geneigte Biker die Infos nicht schwarz auf weiß, sondern weiß auf schwarz – ist sehr gut ablesbar. Der zweite Vorteil: Es gibt nicht viel anzuzeigen. Auf viele elektronische Helferlein verzichtet die Yamaha im Sinne des erweiterten Retro-Gedankens: Gab‘s ja früher auch nicht.
Auffällig ist die sehr aufrechte Sitzposition. Deshalb, und dank des fehlenden Windschutzes, wird die maximale Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h zur rein akademischen Größe. Die Sitzbank ist eher von der harten Sorte und bis auf ein Halteband völlig gerade. Im weiteren Verlauf des Testes wird das zum Problem: Man sitzt nicht in dem Motorrad, sondern darauf. Das ist cool, aber da die 75 PS von der äußerst munteren Sorte sind, wird der Lenker bei voller Beschleunigung zur rettenden Haltestange, andernfalls würde man einfach hinten runterplumpsen.
Die kurze Hinterradschwinge sorgt mit für einen sehr kurzen Radstand. Was diese technische Infos in der Praxis bewirkt ist, dass die Yamaha XSR 700 unerhört wendig ist. Dass sie vollgetankt nur 186 Kilo wiegt, unterstützt das Ganze natürlich. Sie wird für eine stabilitätsorientierte Klientel damit viel zu wuselig sein, alle andern freuen sich schon auf die nächste Kurve.
Muss man sich leisten können
Insgesamt ergibt sich ein eher ruhiges Fahrgefühl. Ein echter Sportler ist die XSR nicht, wird sie mit ihrer optisch sehr ansprechenden Mischbereifung im Stollenlook auch nie werden. Macht aber nichts, so düst man einfach durch die Gegend.
Was also tun oder empfehlen? Die MT-07 ist wie gesagt ein Verkaufsschlager. Die XSR taucht dagegen nicht mal in den Top20 auf. Irgendwie freut man sich immer, wenn man eine sieht, es ist etwas Besonderes.
Ihr ist logisch dank der großartigen Basis kaum etwas vorzuwerfen. Logisch gibt es aber auch kaum einen Kaufgrund. Man mag sie – oder eben nicht. Ob einem diese Optik 1.700 Euro zusätzlich wert ist? Da kann ich mich gerade nicht entscheiden. Ich dreh jetzt noch eine Runde. Alle anderen machen mit der MT-07 nichts falsch.
Das Testbike wurde uns von Motorrad-Ruser in Haseldorf zur Verfügung gestellt.
Preis / Farben / Baujahre
- Preis: 8.495€ als XTribute
- Baujahre: 2019
- Farben: grau, schwarz