Test: Ducati Multistrada 1260 S

Abenteuer, aber mal so richtig

image Fotos: Motorradtest.de

Ducatis Firmenphilosophie ist mäßig kompliziert: Die Italiener wollen immer die ersten sein und die sportlichsten Bikes der jeweiligen Klasse bauen. Nun sind Adventure-Bikes eher dem komfortablen Reisen mit einem Schuss Geländetauglichkeit zugetan, wie soll da die Kombination mit einem Supersportler passen? Indem man die Multistrada 1260 S kauft, meint Ducati. Der Test klärt’s.

Per Modellpflege an die Spitze

Bevor wir klären, ob die Ducati Multistrada ein unkontrollierbares Abenteuer darstellt, werfen wir einen Blick in die weitere Modellpalette. Denn da lauert in Sachen Sportlichkeit oft der Feind im eigenen Stall. Beispiel Triumph: Die 1200er ist mit sich, ihren Kilos und dem satten Drehmoment im Reinen und muss kein Kurvenduell mit der weit spritzigeren 900er Tiger gewinnen. Nicht ganz so deutlich, aber ebenfalls spürbar, geht es zwischen der Suzuki V-Strom 650 und 1050 her – die kleinere ist immer die Sportkanone im direkten Vergleich.

Und bei Ducati? Da steht die 230 Kilo leichte Multistrada 950 bereit, der immerhin 251 Kilo schweren 1260 die Krone zu entreißen. Um es vorweg zu nehmen: Das kann sie nicht. Die 950 ist die ausgewogenere Maschine, aber die 1260 fährt ihr jederzeit um die Ohren und positioniert sich damit in der Modellpalette anders als bei der Konkurrenz.

Die Ducati Multistrada ist ein weiteres Beispiel dafür, wie gezielte Modellpflegen ein eigentlich altes Bike modern halten können. Das Extrembeispiel hierfür ist die Monster-Baureihe, die seit 1993 am Markt ist. So lange gibt es die Multi nicht, denn ein Adventure-Bike passt auf den ersten Blick nicht zum Image der Italiener, die mit Supersportlern groß geworden sind. Die erste Multistrada-Serie war 2003 nicht unbedingt ein Erfolg, was auch an dem Design mit der teils lenkerfesten Verkleidung lag. Die heutige, zweite Serie startete 2010. Nach mehreren Überarbeitungen steht sie nun mit variabler Ventilsteuerung und aufgebohrtem V2 mit 1261 Kubik und 158 PS da.

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Das volle Elektronikpaket

Im Zuge der Modellpflegen wurde jedes Karosserieteil angefasst. Dabei verbesserte sich der Windschutz enorm, allerdings fielen auch zwei Dinge dem Spardiktat zum Opfer. Früher gab es einen praktischen Hebel, der dabei half, die Maschine auf den Hauptständer zu wuchten. Ebenfalls nicht mehr da ist das kleine, ungemein praktische Fach im rechten Teil der Verkleidung. Hier passten Kreditkarte und Kleingeld hinein, was vor allem an Mautstationen sehr hilfreich war.

Es gibt sechs Versionen der Multistrada (1260, 1260 S, 1260 S Grand Tour, 1260 S Dair, 1260 Pikes Peak) und eine „Enduro“ genannte Variante, die mit überarbeitetem Fahrwerk, stabilen Alukoffern und Stollenreifen die Geländebegabteste sein soll. Denn eines ist klar: Alle anderen Versionen machen schon mit dem breiten 190er Schlappen an der Hinterhand klar, dass sie reine Straßenmopeds sind.

Die volle Power der 158 PS, die wir gleich erleben werden, versucht Ducati durch das volle Arsenal der elektronischen Helferlein in den Griff zu bekommen, die alle ein Ziel haben: Wheelies, Schleudern und lange Bremswege zu verhindern oder zumindest beherrschbar zu machen. Früher undenkbar, zeigt sich Ducati heute als Vorreiter dieser Technikarmada, die wir schon bei der brutalen Streetfighter begutachten durften und die dort tadellos funktionierte.

Denn mal los, das Abenteuer suchen.

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Es geht mächtig voran

Klären wir eines vorab: Alles, was über einen Schotterweg hinausgeht, ist für die Ducati Multistrada 1260 S verbotenes Terrain. Sie kann es einfach nicht, weder ist der Motor untenherum mit einem guten Drehmoment gesegnet, noch machen die Reifen mit oder reicht die Bodenfreiheit.

Ab mit der Duc auf die Straße. Und es kommt Freude auf. Schon im Leerlauf macht der V2 klar, wo der Frosch die Locken hat. Obwohl die KTM 1290 ganze 2 PS mehr hat, ist das rotzfreche Wesen der Multi einfach unglaublich. Die Duc ist aller Konkurrenz zum Trotz immer noch die Abteilungsbeste in Sachen Rabatz und aggressiver Sportlichkeit. Schnell einen Blick aufs übersichtliche, klar gegliederte Display: Alles richtig eingestellt? Falls nicht: Ducati glänzt mit bislang eher ungewohnten Fähigkeiten, denn für die Bedienung aller Funktionen  braucht‘s nur einen Schalter, der mit einem Finger bedienbar ist. Da fragt man sich: Wieso bekommen die anderen das nicht hin?

Der Gedanke kreist nur kurz im Hirn, denn gerade rast der Horizont auf uns zu. Das mag daran liegen, dass wir im Getriebe den ersten Gang eingelegt haben und einen sportlichen Start hinlegten. Dieser hatte zur Folge, dass die Multi wie abgeschossen losstürmte, ihr Gewicht vergessen machte und ab 4.000 sowohl leistungsmäßig als auch vom Sound her den Nachbrenner einschaltete. Atemberaubend könnte das sein, wenn man denn ebenjenen nicht vor Schreck angehalten hätte. Per tadellos funktionierendem Quickshifter laden wir die Gänge durch und könnten am Gas bis zur Höchstgeschwindigkeit von 251 km/h bleiben.

Das geschieht übrigens mit einem ganz hervorragenden Windschutz. Das Beste daran: Im Normalfall sind aerodynamisch optimierte Bikes seitenwindempfindlich. Bei Vergleichsfahrten mit anderen Motorrädern klagten deren Fahrer über starke Seitenwinde, der Ducati-Pilot hatte nichts mitbekommen.

Der prächtige V2 prägt das Fahren mit der Duc wie bei keinem anderen Adventure-Bike. Leistungshungrig geht in die richtige Richtung, aber es beschreibt die quicklebendige Sportlichkeit, ja Aggressivität, nur unzureichend. Ducati attestiert der Multi das höchste Drehmoment aller Konkurrenzbikes bei 4.000 Umdrehungen. Doch grau ist wie immer alle Theorie. Mag sein, dass die Multi hier besser als der Rest ist, aber gut ist sie trotz Shift Cam-Technik immer noch nicht. Ja, 90 km/h im großen Gang gehen, das entspricht rund 3.100 Touren. 100 km/h, heutzutage dank immer umfangreicherer Tempolimits wichtig, gehen im sechsten Gang mit rund 3.500 Touren auch. In der Realität jedoch, wenn man nicht auf den Drehzahlmesser schaut, fährt man im Fünften. Die Ducati kann es, aber sie mag  niedertouriges Fahren überhaupt nicht.

Passen tut auf jeden Fall das Fahrwerk, vor allem in der S-Version mit dem semi-aktiven Dämpfern in den Stellungen Touring oder Sport. Insgesamt 400 Parameter lassen sich am Raumschiff Multistrada verstellen, doch eines sollte man lassen: Alle Parameter in Richtung Komfort zu stellen. Das lässt die Duc mitnichten schwammig werden, aber das ultrapräzise Ducati-Gefühl haben die Bits und Bytes dann aufgefressen. In den sportlicheren Modi fühlt sich die Multi wesentlich wohler, wozu auch das kleine 17-Zoll Vorderrad seinen Teil beiträgt (Multistrada 950: 19 Zoll).

Hier zeigt sich die beste Seite der Modellpflegen. Wer bei den ersten 1200er Multistradas einen Hauptständer orderte, handelte sich bei artgerechter Bewegung ein großes Problem ein. Der Hauptständer setzte in Kurven zuerst auf. Und wenn sich dieser an einer Kante verhakt, wäre ein Abflug mit doppeltem Salto nicht zu verhindern gewesen. Wie man sehen kann (Bildergalerie) ist der Hauptständer nun in Form und Position so integriert, dass dieses nicht mehr vorkommen kann. Wo wir gerade am Loben sind: Über mehrere tausend zügige Testkilometer verbrauchte das enorm leistungsfähige Bike nur 5,4 Liter feinstes Super im Durchschnitt.

De vorderradorientierte Sitzposition des bestens integrierten Fahrers wirkt vertrauenerweckend, so dass die Ducati tatsächlich den sportlich orientierten Fahrer bestens abholt.

Alles Friede, Freude, Eierkuchen also? Nein. Dazu ein kurzer Ausflug ins Reich des Vorurteils, das auf diesen Test bezogen lautet, dass BMW doch die dicken Pötte baut, Ducati hingegen die filigranen Sportler*innen. Tja, das langweilige an Vorurteilen ist, dass sie nie stimmen. In diesem Fall: Die Multi wiegt voll satte 232 Kilo, in der Enduro-Version gar 254 Kilo, die BMW R 1250 GS fünf Kilo weniger.

Die Multi steht an dem Scheideweg

Man muss den Ducati-Ingenieuren höchstes Lob zollen, dass man diese Extra-Pfunde kaum merkt. Und dennoch ist die Multi an einem Scheideweg. Die ganze Elektrik dient nicht nur wegen des bärigen Motors der Sicherheit, sie muss sein, um die schwere Fuhre beherrschbar zu machen. Das auffälligste Beispiel hierfür ist die elektronische Feststellbremse. Per Knopfdruck kann die Hinterradbremse aktiviert werden, um die Duc für einen  Start an einem Hügel festzupinnen und so das Anfahren bergauf zu erleichtern. Die Multistrada 1260 S hat nette, aber völlig überflüssige Dinge wie die hinterleuchteten Schalter an Bord. Unmöglich für einen ernsthaften Einsatz abseits befestigter Wege wären die empfindlichen Blinker in den Handprotektoren, die deren Sinn ad absurdum führen.

Ducati hat mit der Multistrada 1260 S tatsächlich das sportlichste Adventure-Bike im Programm, da kann die Konkurrenz aus BMW oder Triumph nicht mithalten (und will es vermutlich auch nicht). Mit ihrer mitreißenden Art gewann sie im Testteam viele Freunde und bereitete uns viel Spaß.

Sie ist auf der anderen Seite komfortablen genug für die lange Tour, toll zu bedienen und gut verarbeitet. Dass sie nicht ins Gelände kann – geschenkt, da würde sie sich nur neben all die anderen Adventure-Bikes legen, die von ihren Fahrern dort in Verkennung der Realität versenkt wurden.

Das Testbike wurde uns von Ducati-Hamburg zur Verfügung gestellt.

Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre

  • Preis: ab 16.990€
  • Gebraucht (3 Jahre alt): 12.000€
  • Baujahre: 1260 seit 2018
  • Verfügbarkeit: gut
  • Farben: rot, grau, weiß
Pro & Kontra
Pro:
  • Kraftvoller Motor
  • Präzises Fahrwerk
  • Windschutz
  • Fahrkomfort
  • Bedienung
Kontra:
  • Niedertourig nichts zu holen
  • Geländetauglichkeit
08 2020: Test: Ducati Multistrada 1260 S
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