Test: Kawasaki H2 SX SE
Ein Hammer, und zwar ein großer
Da hat Kawasaki mit der Ninja H2 SX SE was auf die Räder gestellt: 200 PS aus einen Kompressor-Motor, 263 Kilo schwer und in der Realität über 300 Kilometer schnell. Bei Sauwetter zogen wir aus zum Test – warum? Weil wir dies endlich erleben wollten.
Warum einen Kompressor?
Da steht sie nun, und das hat man nicht alle Tage vor sich: ein 200 PS starkes Motorrad. Vorab ein kurzes Wort zur Technik: Weil Kawasaki vor allem die Fahrbarkeit in und aus niedrigen Drehzahlen verbessern wollten, entschieden sich die Japaner für einen Kompressor zur Leistungssteigerung. Turbos werden vom Abgasstrahl angetrieben und brauchen deshalb Drehzahl um in die Gänge zu kommen, oder einen enormen technischen Aufwand, der dies verhindert. Kompressoren werden dagegen direkt vom Motor angetrieben und kommen von unten heraus. Früher war es so: Ein Turbo startete schwach, um bei Einsetzen des Laders die Augäpfel des Bikers nach hinten zu drücken. Kompressoren dagegen drücken sofort los, fressen mit zunehmender Drehzahl aber immer mehr Leistung des Motors. Eine der schönsten Kompressor-Szenen überhaupt im Kino war im ersten Mad Max-Film zu sehen, als … ich schweife ab.
200 PS also leistet der Kawasaki-Vierzylinder, und die drücken einen Sporttourer namens H2 SX voran. Unser Exemplar legt noch eine Schippe nach und verfügt über die SE (für Special Edition) Ausstattung. Diese hat eine höhere Scheibe, einen Hauptständer, Launch-Control, Heizgriffe, Blipper, Kurvenlicht, Stahlflex-Bremsleitungen und Farbdisplay an Bord – in etwa das also, was man bei 22.000 Euro sowieso erwarten würde.
Ganz klar, das hier ist ein ziemlich großes Stück Motorrad. Die Vollverkleidung macht gar nicht erst auf elegant oder zierlich, sie passt in ihrer Wucht gut zum Rest des Bikes. Dann mal aufsitzen, was völlig problemlos geht, jedoch ist der Tank ziemlich breit.
Los.
Das Übergewicht? Kein Problem
Beim langsamen Losfahren und beim Rangieren vorher merkt man die 263 Kilo Gesamtgewicht sehr wohl. Warum wir damit beginnen? Weil es ansonsten nie auffällt, was überraschend ist. Lediglich in wirklichen Grenzsituationen fällt das Gewicht der Kawa auf, wenn sie in sehr schnellen Kurven nach außen schiebt. Aber schon das ist Jammern auf hohem Niveau, denn eigentlich ist die Kawa viel behänder und leichtfüßiger als gedacht.
Eine Wucht sondergleichen ist der Motor. Vier Ventile, knapp 1.000 Kubik, das ist schon mal nicht schlecht. Die letzten 50 PS zum Vorgänger holt der Kompressor. Das alles im Gedächnis, ist man nicht sonderlich überrascht, dass die Launch-Control die Drehzahl in den beiden untersten Gängen auf 6.250 Touren begrenzt. Nützt ja nix, wenn das Bike auf 100 ist und man selbst abgeworfen wurde.
Überraschung: Die Kawa ist trotz Kompressor kein Drehmoment-Monster, das die Kraft aus dem untersten der unteren Kellergeschosse holt. Sie startet naturgemäß souverän, aber nicht atemberaubend. Doch schneller als man „atemberaubend“ sagen kann, schärft sich das Bild, wenn man weiter Gas gibt: Die Kawa dreht ohne Ende weiter, vom Nachlassen des Schubs in den oberen Drehzahlen trotz Kompressor keine Spur. Bis 12.000 reicht der Spaß. Etwas über 7 Sekunden lang per Blipper immer den richtigen Gang nachgeschossen und es geht mit 200 km/h voran. Das ist zwar schnell, aber nur 66% des maximal Möglichen.
Kurve und geradeaus - prima
Bis 300 km/h haben wir es nicht getrieben, dazu waren die Straßenverhältnisse beim Test zu miserabel. Was wir dafür bezeugen können: Alle elektronischen Helferlein von Traktionskontrolle bis ABS haben tadellos funktioniert.
Auch der Windschutz ist gut bis sehr gut. Man spürt den Wind zwar immer, aber auch bei sehr hohen Geschwindigkeiten bricht der Schutz nicht ab. Das gilt allerdings nur für den Piloten: In der zweiten Reihe sitzt man ziemlich hoch, das sollte man vor dem Kauf probieren oder es ruhiger angehen lassen. Passt das, ist der Reisekomfort ein ganz großes Plus der SX.
Stabil schnürt sie dahin, übrigens auch mit Koffern. Nochmal kurz zur Kurvenfreudigkeit: Dass man das hohe Gewicht kaum bemerkt und wenn dann nur im direkten Vergleich zu anderen Mopeds, hatten wir schon erwähnt. Doch auch überraschend viel Schräglagenfreiheit und die spontane Kurvenwilligkeit kommen dem sportlich angelegten Tourenfahrer zupass. Der Fahrspaß reduziert sich hier nicht auf die übermäßige Kraft, sondern entstammt allen Bereichen der Kawa.
Problemlos, schnell, gut
Bei zweifelhaften Wetterverhältnissen, in Kälte und Regen, erwies sich die Kawa als unproblematische Begleiterin. Es ist schon erstaunlich, wie gut die elektronischen Helferlein zur Bändigung ihrer Kraft funktionieren. Fast alle davon braucht man unter diesen Bedingungen - aber gleichzeitig hat man mit dem großen SPORTtourer einen riesigen Spaß und muss erstaunlich wenig Kompromisse eingehen.
In der Stadt ist sie nicht die erste Wahl – überall anderes leistete sie sich keine einzige ernsthafte Blöße. Selten haben wir 200 PS so entspannt genossen.
Das Testbike wurde uns von Heller & Soltau in St. Michaelisdonn zur Verfügung gestellt.
Preis / Verfügbarkeit / Farben / Baujahre
- Preis: ab 18.995€
- Gebraucht (3 Jahre alt): 14.500€
- Baujahre: seit 2015
- Verfügbarkeit: mittel
- Farben: grün metallicgrau, metallicschwarz